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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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nichts über diese militärischen Dinge. Die Soldaten wurden alle zum Stillschweigen verdonnert. Selbst gegenüber ihren Frauen.«
»Und Florian hielt sich daran?«
    Sie nickte.
    »Im Netz habe ich aber ihre Homepage gefunden. Die hab ich mir manchmal angeguckt, wenn ich Sehnsucht nach Florian hatte. Oder mir Sorgen um ihn machte. Aber da erfährt man natürlich auch nichts.«
    »War Ihr Mann schon lange dabei?«
    »Seit 2000.«
    »Was waren seine Aufgaben?«
    »Er durfte mit mir auch darüber nicht reden. Die Soldatenfrauen dürfen nicht erfahren, was ihre Männer machen, nicht einmal, wo sie sind.«
    Wütend griff sie in die Seitentasche, in der die Zigaretten lagen.
    »Pervers«, sagte sie und zog die Hand wieder heraus.
    »Aber irgendwas wird er Ihnen doch sicherlich erzählt haben?«
    »Klar. Am Anfang. Florian war ursprünglich bei einertechnischen Einheit. Spezialist für ein bestimmtes Gerät. Dann wurde er versetzt. Nach Calw. Ich weiß leider nicht mehr, für welches Gerät. Als ich ihn kennenlernte, war er mehr ein Technikfreak als ein Soldat.«
    »Sie haben angedeutet, dass es einen Kollegen gab ..«
    »Kameraden heißt das bei denen«, sagte sie. »Ich kenne nur einen. Mit dem sind wir einmal ausgegangen. Das war sein Buddy, sein engster Kumpel. Irgendwie.«
    »Erinnern Sie sich an den Namen?«
    »Ja. Klaus heißt er. Wir waren zusammen auf dem Cannstatter Volksfest. Es müsste sogar noch ein Foto geben. Die beiden Männer haben an einem Stand mit Luftgewehren geschossen. Es wird ein Bild gemacht, wenn man trifft, wissen Sie? Vielleicht habe ich das noch.«
    Sie stand auf und ging. Nach einer Weile kam sie mit einem Polaroidfoto zurück. Zu sehen waren ein Mann und Sarah Singer, ein zweiter Mann, wahrscheinlich Florian Singer, der eine kleinkalibrige Waffe angelegt hatte, die sein Gesicht verdeckte.
    »Das sind Klaus und ich. Florian schießt gerade. Klaus hieß Holzer mit Nachnamen, jetzt fällt es mir wieder ein.«
    »Darf ich es mitnehmen?«
    Sie nickte.
    »Welchen Dienstgrad hatte dieser Klaus?«
    »Die beiden sind Stabsfeldwebel. Florian sollte in drei Monaten befördert werden.«
    »Wann war er das erste Mal im Ausland?«
    »Nach dem 11. September. Kurz nachdem die Amerikaner Afghanistan angriffen, gingen die Calwer auch dahin. Florian war beim ersten Einsatz dabei. Er sagte es mir, obwohl er es nicht durfte.«
    Wieder streckte sie ihr Kreuz durch, und auch Dengler straffte sich.
    »Wissen Sie, was er dort getan hat?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Kein Wort hat er mir gegenüber über den Einsatz verloren.«
    »Kein Wort?«
    »Kein Wort.«
    »Wie oft war er dort? Und wie lange?«
    »Er verschwand immer wieder. War monatelang weg. Und jedes Mal kam er verstörter zurück.«
»Verstörter?«
    »Ja. Er wurde mir immer fremder. Er schlief nicht mehr. Oder kaum noch. Zwei Stunden, drei. Höchstens. Wälzte sich im Schlaf, von Albträumen gequält. Einmal würgte er mich im Schlaf. Ich dachte, er bringt mich um. Doch er wurde gerade noch rechtzeitig wach und war entsetzt über sich.«
    Sie schwieg erschöpft.
    »Dann kapselte er sich völlig ab. Von den Kindern. Von mir. Vorher klappte es immer. Im Bett. Zwischen uns. Es war immer richtig gut mit ihm. Dann lief nichts mehr. Nicht von mir. Von ihm aus, verstehen Sie?«
    Was für ein Jammer, dachte Dengler.
    »Er saß ganze Wochenenden unten in seinem Zimmer und spielte auf dem Computer. Aber was für Spiele! Scheußliche Killerspiele. Die haben sie von amerikanischen Soldaten, glaube ich. Vietnam. Irakspiele. Blut, Gewalt, Vergewaltigungen, alles kommt darin vor. Gibt es nur unter den Soldaten. Florian, verstehen Sie? Der liebe, liebe Mann. Der witzige Mann. Der Mann, den ich liebte. Immer mehr wurde er zu einem ... Monster.«
    Sie sah ihn an und drückte wieder das Kreuz durch, so, als gäbe ihr das mehr Halt in ihrem Leben.
    »Er ging nicht mehr aus dem Haus. Alles war ihm zu viel. Reden wollte er nicht. Keinen Lärm durften die Kinder mehr machen, wenn er da war. Es herrschte hier eine Stimmung wie – wie auf einem Friedhof.«
»Wie auf einem Friedhof«, wiederholte sie.
    »Und seine Vorgesetzten? Haben die nichts bemerkt?«
    »In der Kaserne funktionierte er. Dort schien man nichts zu
    bemerken.«
    »War er bei einem Arzt?«
    »Sie meinen, bei einem ... Therapeuten?«
    »Ja.«
    »Ein richtiger Mann geht nicht zu einem Seelenklempner«, sagte sie bitter.
    »Schlug er Sie?«
    Sie sah ihn an. Offen und ohne Furcht.
    Diese Frau lässt sich von keinem

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