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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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er sich herzlich wenig sehnte. Fast so wenig wie nach Lydia und – Cairo.
    Hier gefiel es ihm. Italien. Mit diesen Leuten, die ständig redeten. Die verdammten Italiener quasseln den ganzen lieben langen Tag. Er dachte oft darüber nach, ob in Italien mehr geschah als in den Vereinigten Staaten. Und die Menschen sich deshalb hier mehr zu erzählen hatten. Hier passierte jedenfalls mehr als in Cairo, Mississippi. Ihn schüttelte es, wenn er daran dachte, dass er in ein paar Tagen schon indiesem trüben Kaff sitzen und in einem Burger herumstochern würde.
    Rom gefiel ihm. Ah, Rom. In der letzten Zeit saß er oft im Caffè Greco in der Via Condotti. Nahe der Spanischen Treppe. Schönes Café, sicher. Verdammt hohe Preise. Aber schönes Café. Ein deutscher Dichter, Goethe, hat hier Teile der »Iphigenie auf Tauris« geschrieben. Sollte er vielleicht mal lesen. Rote Samtpolster. Die Geräusche des Cafés mochte er, das Klappern der Teller und das leise Fauchen der Kaffeemaschinen. Doch erst vor einer Woche dämmerte ihm, was ihn wirklich hierherzog. Nicht die holzgetäfelten Wände. Nicht allein die Nähe zum Petersdom und seinen Kunstschätzen. Aber der Vatikan war es schon. Genauer, die Priester, die hier saßen. Einen kleinen Espresso tranken. Zu zweit tuschelten. Lachten. In diesen merkwürdigen Gewändern einher schritten. Diesen Kaftanen oder wie man das nannte. In diesen verdammten Frauenkleidern. Am helllichten Tag. Und immer zu zweit. Die versteckten Blicke. Die Gesten. Das Lächeln. Die kleinen, kaum wahrnehmbaren Berührungen in der Öffentlichkeit – Versprechen auf Berührungen ganz anderer Art, später. Ihm brauchte keiner was vorzumachen. Er konnte die Zeichen lesen. Sie standen klar geschrieben, in großen Buchstaben. Wie er sie beneidete. Sie zahlten ihren Espresso, ihren Cappuccino, ihren Kaffee irgendwas und verschwanden dann lächelnd hinter den Mauern des Vatikans. Ihre Blicke, die manchmal prüfend und, verdammt noch mal, manchmal auch zustimmend über ihn glitten.
    Er beneidete diese Burschen.
    Wirklich.
    Nein, er wollte Italien nicht verlassen. Diese ewig quasselnden Italiener fand er gut. Militärisch zwar nicht zu gebrauchen. Aber als Köche und Kellner unschlagbar. Echt nicht zu schlagen. Ein Volk von Köchen und Kellnern. Muss es ja auch geben.
    Das Telefon summte.
    Irgendein beschissener Captain von der Moody Air Force Base aus Georgia war am Apparat.
    Wann sie mit dem Kadaver rechnen könnten?
    »Morgen früh, eure Zeitrechnung, habt ihr ihn auf dem OP-Tisch«, brüllte er ins Telefon. »Hab ich doch schon zigmal gesagt. Wie es im Ablaufplan steht. Genau so geschieht es auch.«
    Er knallte den Hörer zurück. Blöder Affe.
    Gordon schaltete den Computer ein. Fuhr das Aggregat hoch. Sssss – summte die Maschine. Futuristisch. Er mochte das. Würde ihm die verdammten Generalssterne einbringen.
    Er setzte den Kopfhörer auf. Justierte die Kanone. Kam sich dabei immer wie der verdammte Richtkanonier vor, der er früher einmal gewesen war. Auf einer M155 Panzerhaubitze. Gute Dinger. Sind heute noch im Einsatz. Das hier ist ja auch eine Art Artillerie. Im weitesten Sinne.
    Auf dem Bildschirm erschien das Bild des Inneren der Höhle.
    Jetzt könnten sie den Nigger bringen. Er schaltete das Mikro ein.
    »Bringt ihn rein«, brüllte er und lehnte sich im Sessel zurück.

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    Auf dem Wipfel
    Kurz vor sechs Uhr lag Dengler mit geöffneten Augen in seinem alten Bett. Ein Geräusch hatte ihn geweckt. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich erinnerte, dass er zu Hause war.
    Es ist nicht mein Zuhause. Nicht mehr, dachte er.
    Dann registrierte er, dass die Geräusche von unten, aus der Küche kamen. Seine Mutter kochte Tee und deckte den Frühstückstisch.
    Dengler stand auf.
    Er ging zum Fenster.
    Draußen zogen Nebelschwaden aus dem Tal herauf. Weißgraue Fetzen, die beständig ihre Form änderten, sich auflösten und die in ein paar Stunden gänzlich verschwunden sein würden. Wenn der Nebel heraufzieht, hatte sein Vater erzählt, dann kochen die Hasen unten im Tal zu Mittag.
    Er hatte es geglaubt.
    Er hatte seinem Vater immer geglaubt.
    Er hatte es dem Jungen erzählt, der einmal sein Blutsbruder werden würde.
    Der hatte gelacht.
    Hasen kochen nicht, die werden gekocht, hatte der gesagt. Er stand auf, wusch sich, zog sich an und ging hinunter in die Küche zu seiner Mutter.
    Sie war wie immer. Als sei keine Zeit vergangen seit seiner Kindheit. Sie redete wieder über die Nachbarin, die erst

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