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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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kleine Unaufrichtigkeit leid. Er hatte Olga nichts von Sarah Singers Annäherungsversuch erzählt und hatte auch nicht vor, dies nachzuholen. Er hatte einmal bei einer französischen Autorin gelesen, dass deren männlicher Held die Liebe liebte, aber ihre Folgen nicht schätzte.
    Er wollte Olga keinen Grund zur Eifersucht geben, kein Missverständnis zwischen ihnen zulassen.
    »Ich hatte einmal als Junge einen Blutsbruder. Er kam aus der Stadt in den Ferien zu uns auf den Hof. Ich dachte, wir wären Freunde fürs Leben.«
    Und nun erzählte er ihr, wie er in dem Tunnel fast ertrunken wäre und von seiner maßlosen Enttäuschung über den Verrat seines besten Freundes.
    »Und du hast diesen Jungen nie mehr wiedergesehen?«, fragte sie, die Stirn leicht gerunzelt.
    Er trank einen Schluck Rotwein.
    All das war so lange her und doch noch so frisch in seiner Erinnerung.
    »Nein. Ich habe von dem ganzen Wirbel im Dorf nichts mitbekommen, die Rettungsaktion muss ziemlich dramatisch gewesen sein. Ich lag drei Wochen im Krankenhaus. Als ich wieder bei Bewusstsein war, habe ich nach Florian gefragt, aber meine Mutter hat mir nur erzählt, dass seine Familie gekommen sei und ihn abgeholt habe.«
    Er schwieg.
    Sie berührte ihn leicht an der Schulter.
    »Und der Mann, den du nun suchst, dieser Soldat – ist dein früherer Blutsbruder?«
    »Ja. Und morgen Nachmittag stehe ich vor seiner Kaserne und warte auf jemanden, der vielleicht weiß, wo er sich versteckt.«
    * * *
    Die Graf-Zeppelin-Kaserne befand sich unmittelbar hinter einem kleinen Industriegebiet. Er fuhr eine Anhöhe hinauf, kam an mehreren Autohäusern vorbei, bevor die Straße zur Wache vor der Kaserne einbog. Dort befanden sich einige Kleingärten, die er als Sichtschutz nutzen konnte.
    Die Straße »Im Hain« war kaum mehr als ein Feldweg, aber hier konnte er den Wagen abstellen und hatte gleichzeitig einen guten Blick auf die Wache.
    Dengler sah auf die Uhr. Es war halb fünf. Um diese Zeit, so nahm er an, wäre für die meisten Soldaten Dienstschluss, und sie würden nach Hause fahren. Berufssoldaten wohnen nicht oder nur selten in der Kaserne. Das Foto von Klaus Holzer hatte er auf den Schoß gelegt, sodass es von außen nicht sichtbar war, aber er es jederzeit mit den Personen vergleichen konnte, die zu Fuß oder mit einem Auto aus der Kaserne kamen. Ab halb fünf verließen die ersten Pkws den Hof. Er konnte immer nur einen kurzen Blick auf die Fahrer werfen, so schnell fuhren sie an der Seitenstraße vorbei.
    Wenn er wenigstens wüsste, welchen Wagen Holzer fuhr.
    Über die Auskunft ließ er sich mit dessen früherer Freundin verbinden.
    »Dippler«, meldete sie sich nach dem ersten Klingeln.
    »Bitte legen Sie nicht auf«, sagte Dengler. »Ich war gestern an Ihrer Haustür. Ich habe nur eine einzige Frage: Welchen Wagen fährt Klaus Holzer?«
    »Einen weißen GTI«, sagte sie. »Was soll das alles eigentlich?Lassen Sie mich endlich in Ruhe.« Sie legte auf.
    An diesem Nachmittag verließ kein weißer GTI die Kaserne.
    Am nächsten Tag auch nicht.
    Die Aussichten, Klaus Holzer auf diese Weise zu finden, waren nicht sehr hoch. Vielleicht war er in Afghanistan. Vielleicht sonst wo im Einsatz. Vielleicht hatte er Urlaub oder war irgendwo auf der Welt, wo er Fallschirmspringen oder was auch immer trainierte.
    Am dritten Tag sah er ihn.
    In einem weißen GTI.
    Dengler ließ etwa achtzig Meter Abstand und folgte dem Wagen.
    Holzer fuhr durch das Industriegebiet, an einem Bestattungsunternehmen, einer Schnapsbrennerei und an dem Königreichsaal der Zeugen Jehovas vorbei und lenkte den GTI dann über den Fluss Nagold in das Zentrum von Calw. Dort parkte er vor einem alten Fachwerkhaus. Dengler sah, dass der Mann sich nicht umblickte, als er den Wagen abschloss. Er erwartete nicht, verfolgt zu werden. Dengler lenkte das auffällig rot lackierte Stadtmobil in eine Seitenstraße, stieg aus und folgte Holzer.
    Am Marktplatz betrat Holzer ein Lokal und setzte sich an einen Tisch, den Dengler von außen nicht beobachten konnte. Er stellte sich unter die Arkaden des historischen Rathauses und wartete.
    Nach einer halben Stunde ging er an dem Lokal vorbei und warf unauffällig einen Blick durch das Fenster. Holzer saß allein an einem Tisch und hatte einen vollen Teller vor sich stehen und ein Glas Bier. Dengler lief zurück zum Rathaus. Wie viele Stunden seines Lebens hatte er mit Beschattungen verbracht? Viel zu viele! Einige seiner Kollegen beim BKA hatten sich durch das

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