Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
Vom Netzwerk:
zu spielen. Einsatz zehn Euro. Das war kein Risiko. Sie spielte und gewann. Der Mann gab ihr den Gewinn sofort. Und bot eine neue Runde an. Einsatz zwanzig Euro. Sie gewann erneut.
    Der Mann schien verzweifelt und bot ihr ein weiteres Spiel an. Zweihundert Euro. Nun war sie vorsichtig. Aber sie schien den Hütchenspieler in seiner professionellen Ehre verletzt zu haben. Spanischer Macho eben. Das freute sie. Sie gab ihm das Geld. Der Mann rückte die Fingerhüte hin und her, her und hin, und sie ließ den richtigen Hut, den mit der Kugel, nicht aus den Augen. Als der Spieler geendet hatte, stand eine große Gruppe Zuschauer um sie herum. Sie musste einen Fingerhut umdrehen. Langsam griff sie nach dem, unter dem sie die Kugel vermutete. Ein Zuschauer schüttelte leicht den Kopf. Sie zögerte. Dann überlegte sie, dass dieser Zuschauer bestimmt ein Kumpane des Spielers sei, der sie von ihrem Gewinn abbringen sollte. Entschlossendrehte sie das Hütchen um. Der Platz darunter war leer. Der Spieler drehte den Fingerhut daneben um. Da lag die Kugel, schwarz und glänzend. Plötzlich rief jemand Policia, und in Windeseile löste sich die Gruppe auf, der Hütchenspieler und seine Mitstreiter stoben in alle Himmelsrichtungen davon, mit ihnen verschwanden ihre zweihundert Euro.
    Bis heute wurde sie den Verdacht nicht los, dass sie einer äußerst cleveren Inszenierung auf den Leim gegangen war. Und das ärgerte sie.
    Aber das umständliche und langwierige Theater, das die Kommunikationsabteilung Politik und Außenbeziehungen seit der entscheidenden Vorstandssitzung im letzten Jahr veranstaltet hatte, hatte sie noch viel mehr aufgeregt. Katharina Petry liebte Effizienz. Sie liebte Schnelligkeit. Sie liebte rasche Ergebnisse. Und ihr Projekt brauchte jetzt Effizienz und Schnelligkeit und vor allem Ergebnisse. Möglichst bald. Die Kommunikationsabteilung hatte sich wegen eines Termins mit dem Kanzler an dessen Staatsminister gewandt. Sie hatten auf die Dringlichkeit hingewiesen, und Katharina Petry hatte ein ausführliches Dossier über die neue Waffe geschrieben und die wichtigsten Argumente übersichtlich auf zwei DIN-A4-Seiten zusammengefasst. Politiker und Vorstände, das war ihre leidvolle Erfahrung, seit sie Direktorin geworden war, lasen nicht mehr als zwei DIN-A4-Seiten, egal, wie komplex das Thema auch sein mochte.
    Zwei Monate später erhielt sie von der Kommunikationsabteilung die Mitteilung, der Staatsminister habe sich nun mit dem Kanzler besprochen und werde sich wegen eines Termins melden. Das dauerte noch einmal drei Wochen. Und nun stimmten das Büro des Kanzlers und das Vorstandssekretariat der MensSys AG einen gemeinsamen Termin ab. Der wiederum fand sich viereinhalb Monate später.
    Währenddessen testeten die Ingenieure im Labor und in der Qualitätssicherung das System. Aber das war nichts weiter als ein Beschäftigungsprogramm. Sie war wütend. DasSystem musste nun unter realistischen Bedingungen getestet werden. Niemand im Labor konnte die Bedingungen des Einsatzfalles ansatzweise realistisch simulieren. Auch die Offiziere des Amtes für Wehrtechnik und Beschaffung waren keine Hilfe. Von Gefechtssituationen hatte sie peinlich wenig Ahnung. Petry brauchte einen Test ihres Systems unter Echtzeitbedingungen. Dringend.
    In der Zwischenzeit erarbeitete das Kanzleramt die Vorlage für ihren Chef – ausführlicher Lebenslauf aller Gesprächsteilnehmer, Umsatzzahlen, Projektbeschreibung. Und das Gleiche bereitete Katharina Petry mit der Kommunikationsabteilung für den Vorstandsvorsitzenden vor: ausführlicher Lebenslauf des Staatsministers, des Verteidigungsministers und des Kanzlers sowie der Referenten, die an dem Gespräch teilnehmen sollten. Dann wurden die Kfz-Zeichen der Fahrzeuge nach Berlin gemeldet, mit denen die Manager des MensSys-Konzerns anreisen würden.
    * * *
    »Wir haben heute ein ernstes Thema. Aber ich hoffe, ich habe trotzdem einen angemessenen Rahmen dafür gefunden. Wir haben ein Mittagessen vorbereitet, das Ihnen vielleicht gefallen wird.« Der Kanzler gab Katharina Petry einen Handkuss und machte eine launige Bemerkung über ihre Fliege. Heute hatte sie eine gewählt, deren Farbe zwischen Rot und Rosa lag. Rot war zwar die Farbe der Partei des Kanzlers, aber sie nahm an, dass diese Farbe ihm persönlich nicht so lag.
    Das Vorgeplänkel hielten die Männer kurz. Der Kanzler hatte in seiner Zeit als Rechtsanwalt einmal einen Prozess gegen den Konzern geführt – und verloren.
    »Ich werde

Weitere Kostenlose Bücher