Brennende Schuld
Verstorbenen.
»Hast du schon einmal eine Leiche gesehen?« Rafals Atem drang warm in sein Ohr.
Er schüttelte erschrocken den Kopf.
Das Mädchen saß wieder ganz still, und er hoffte, sie würde sich noch einmal nach ihm umdrehen.
»Die sind grau und steif. Und voller Würmer, die fressen ihnen das Fleisch von den Knochen. Am Schluss bleibt nur ein Totenkopf übrig, wie auf der Piratenflagge.«
Er schauderte. Seine Hand umschloss den Krebs fester. Das Tier zwickte ihn heftig, und er ließ es wieder los. Er sah, wie sich das Mädchen bewegte – er erhob sich, um genauer zu sehen. Sie presste ihre Hände gegen die Schläfen.
»Schhht!« Rafals Mutter wandte sich um und legte einen schwarz behandschuhten Zeigefinger auf ihre Lippen.
Rafals Stimme wurde leiser. »In der Höhle von Trasilio haben sie einen gefunden, der war schon verwest. Ihm fehlte eine Hand.«
Rafals Mutter zischte noch einmal.
Rafal grinste lässig und setzte eine fromme Miene auf.
In die erste Reihe kam Bewegung. Das Mädchen mit den Zöpfen sprang auf und lief schluchzend aus der Kirche.
Der Weg führte steil bergan von der Kirche bis zum Friedhof. Alle folgten schweigend dem Sarg. Plötzlich kam Laureana, das Mädchen mit den Zöpfen, und reihte sich ein.
Rafal war so langsam gegangen, dass sie die Letzten waren und er seine Geschichte fortsetzen konnte. »Sie haben alles abgesucht, aber die Hand des Toten haben sie nicht gefunden. Und jetzt kommt’s: Du kennst doch Miguel, der in meiner Klasse ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Na, egal. Jedenfalls hat Miguel einen kleinen Bruder. Und einen Schäferhund. Miguel kommt von der Schule nach Hause, und da sitzt sein kleiner Bruder und spielt mit einer halb verwesten Männerhand. Der Hund hatte sie rangeschleppt, und der Kleine hatte natürlich keine Ahnung, was das war.« Er stieß ihn in die Seite: »Hoffentlich ist er kein Daumenlutscher gewesen.«
Er machte schnelle Schritte und entkam Rafal. Der Rücken des Mädchens war nun dicht vor ihm, die schwarzen Schleifen an ihren Zöpfen zum Greifen nahe. Er würde an einem Zopf ziehen, und wenn sie sich umdrehte, würde er den Flusskrebs präsentieren.
Er langte zu, und sie zischte ihn empört an: »Was willst du?«
»Nichts.« Er schnurrte in sich zusammen und starrte zu Boden.
Das Krabbeln in seiner Hand hatte aufgehört. Der Krebs regte sich nicht mehr.
Sie drehte sich noch einmal um, und als sie seine Tränen sah, zog sie ein Gesicht: »Du brauchst nicht zu weinen, da ist nichts im Sarg.«
Sein Vater, sein Onkel Lucas und zwei Männer mit dem Abzeichen der Falange stellten den Sarg ab. Er wollte gerade fragen, warum der Tote gestorben war, als sich eine Frau nach vorne drängte, »Mörder!« schrie und auf den Sarg spuckte.
Einer der Falange-Männer zerrte die Frau weg. Er schimpfte mit der Fremden, und der Vater sperrte mit ernstem Gesicht das Friedhofstor zu.
Er zupfte Rafal am Arm: »Was meint die Frau?«
»Es gibt Leute«, erklärte Rafal, »die sagen, dass Onkel Trasilio einen Fehler gemacht hat. Und dabei sind Menschen umgekommen.«
Nach dem Begräbnis war er sehr müde. Trotzdem wollte er alles mitbekommen, was vorne im Auto gesprochen wurde. Er legte sich quer auf den Rücksitz und lauschte.
»Prats hätte die Genehmigung zur Sprengung gar nicht geben dürfen«, sagte seine Mutter.
Der Vater sagte leise: »Trasilio war sein Freund. Und Trasilio wollte sprengen.«
»Gerade deswegen hätte ihn Prats vor seinem Ehrgeiz schützen müssen.«
»Aber es gibt Leute, die sagen, Prats kannte die Gefahr und hat die Genehmigung extra gegeben, damit Trasilio verunglückt und er dann Margarita ganz für sich haben kann.«
Der Vater hupte laut. Er richtete sich auf. Sein Vater fuhr schneller als sonst und hätte fast ein Huhn erwischt, das über die Straße flatterte.
»Es stand sogar in der Zeitung, dass die Frau eines der Opfer gesagt hat, Prats wollte eigentlich Trasilio töten.«
Sein Vater hielt sich am Steuer fest und sah stur geradeaus.
»Jeder dachte, Trasilio ist in der Höhle, als die Höhle explodierte. Wenn Prats die Sprengung ausgelöst hat, hat er auch gedacht, Trasilio ist drin.«
Der Vater hupte laut, obwohl nichts auf der Straße war.
Die Mutter lachte. »Siehst du Gespenster?«
Sein Vater antwortete nicht.
»Ich mochte Trasilio sowieso nicht. Er war ein Prinzipienreiter, ehrgeizig und besessen von dem Totenkram. Leid tut es mir nur um seine Tochter. Sie ist so ein aufgewecktes Kind.«
Die starre
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