Brennende Schuld
in Erinnerung behalten solle. Können Menschen so lügen?, fragte sie sich immer wieder.
Eine Frau in den derben Witwenkleidern der Landbevölkerung drängte sich zwischen die Trauernden, als sie sich um den Sarg zusammendrängten. Zuerst sah es aus, als würde sie in Tränen ausbrechen, doch dann spuckte sie auf den Sarg und schrie: »Mörder!«
Jaume Prats zerrte sie weg vom Sarg, weg vom Friedhof.
Der Vater des Knirpses schloss das Eingangstor und die »nette Feier«, wie sie es nannte, konnte weitergehen. Die alte Matriarchin Josefa nahm sie und drückte ihren Kopf an sich.
Sie wusste, dass ihre Intelligenz der Alten schon ein paar Mal aufgefallen war, insbesondere, wie verrückt sie auf Fremdworte war und dass sie die seltsamsten Sachen auswendig lernte. Aber dennoch hatte die Alte, die sie alle die Piratin nannten, sicher keine Antwort erwartet, als sie einmal gefragt hatte, was ein Oxymoron sei.
»Eine gute Piratin«, war ihre Antwort gewesen, was Josefa mehrmals mit ihren Schwestern amüsiert diskutiert hatte.
»Dein Vater war kein Mörder«, sagte Josefa nun tröstend zu ihr. »Es war ein schrecklicher Unfall.«
Das Gesicht in den weichen Falten des Kleides der Alten vergraben, hörte sie die Worte wie aus weiter Ferne.
kapitel drei
Die Taucher der Küstenwache untersuchten den Küstenabschnitt in einem Radius von mehreren hundert Metern. Schwarze Schlauchboote schossen hin und her, und am Himmel kreiste ein Hubschrauber.
»Unbekleidete männliche Leiche, circa fünfzig Jahre alt, einssiebzig groß, Haut am Rücken teilweise abgelöst.« Torres beugte sich ohne Mundschutz dicht über die Leiche und diktierte seinen Befund.
Costa hatte den Gerichtsmediziner aus einer sonntäglichen Matinee in C’an Ventosa gerufen. Torres war sehr ungehalten, den Genuss der Serenade von Albéniz unterbrechen zu müssen, und hatte gedroht, sein Mobiltelefon in Zukunft zu Hause zu lassen. Leutnant Elena Navarro, der Spurenexperte Xico Palomo und der Bischof waren bereits eingetroffen. Sie hatten den Strand abgesperrt und verhörten das Ehepaar, den Schmuckverkäufer und den Budenbesitzer. Xico, der im Team ›der Surfer‹ genannt wurde, kniete im Sand. Er hatte etwas gefunden, das er in eine Klarsichttüte steckte.
»Muskelstränge im mittleren Rücken durchtrennt, mehrere Frakturen im Schulterbereich«, verkündete Torres. Ihn kümmerte die Tatausführung nicht, er regte sich nur auf, wenn sie allzu dilettantisch war und das Opfer völlig sinnlos leiden musste. Ob es sich hier so verhielt, würde Torres erst nach der Obduktion wissen, aber Costa schien der Täter auf jeden Fall grausam vorgegangen zu sein.
»Die Schürfwunden und Brüche hat ihm meiner Meinung nach das Meer beigebracht«, murmelte Torres, ohne seinen Habichtblick von der Leiche zu nehmen. »Die Haut ist vom Salzwasser abgelöst worden. Aber gebraten haben sie ihn schon vorher. Dreh ihn mal vorsichtig um.«
Costa zog sich Handschuhe über und packte die Leiche behutsam am Schulterblatt. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich Karin abwandte und die Augen schloss. In ihrem Gesicht kämpften Ekel und Neugier. Obwohl sie die Leiche gefunden hatte, war ihre Anwesenheit nicht mehr nötig. »Warum gehst du nicht?«, fragte er und meinte es fürsorglich.
Sie nahm die Kamera und richtete sie auf das Gesicht der Leiche.
Es war ausdruckslos und auf seine Bestandteile reduziert. Die Muskeln und Nerven, die den Mund bewegt hatten, waren durchtrennt, scharfkantige Felsen hatten das Bindegewebe bis auf die Wangenknochen durchschnitten. Er hatte ein Auge verloren und stattdessen ragten die Scheren eines Krebses heraus. Das andere Auge saß geplatzt in seiner Höhle – eine geschälte Litschi. Ein Stück des Kopfes um das linke Ohr herum war völlig unversehrt. Die Haut auf der Stirn lag in Sorgenfalten, was allerdings auch parallel liegende Schnitte sein konnten. Zwei der Vorderzähne waren herausgebrochen, und in der Lücke hatte sich Seetang verfangen. Das Nasenbein war zerschlagen, der rechte Nasenflügel abgerissen.
Torres versperrte Karin die Sicht, als er die Lippen des Toten zurückzog, um die Zähne zu sehen. Sie fotografierte sofort los, als Torres die Hand zurückzog.
»Nicht mehr viel zu erkennen«, sagte er. »Aber eines ist seltsam. Die Farbe der Leichenflecken unter den intakten Hautteilen deutet auf Erfrierungen hin.« Er machte einen Sprung und ergriff Costas Arm, um sich festzuhalten. Beide schwankten auf der Klippe hin und her, und Karin
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