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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Mühlenhügels.

kapitel zwei
    Die Glocke der Kirche von San Vincente läutete am 9. November 1969 dreimal. Ein erbärmlicher, dünner Klang. Das Verschwinden ihres Vaters erfüllte sie mit Wut. Bald schon hatte sich die Wut versteinert und lag nun wie eine Grabplatte über der Möglichkeit, dass ihr Vater tot sein könnte. Er war es nicht.
    Anfangs weinte sie noch, doch schon als sie erfuhr, dass die Beerdigung in der Nähe der Unglückshöhle stattfinden würde, erfüllte sie der erste Hass, wenn auch noch so schwach, dass sie ihn in Hohn verwandeln konnte. Schade, dachte sie, in der Stadt wäre das Theater schöner gewesen.
    »Anders können wir die Leute von der Zeitung nicht fern halten«, behauptete die Mutter. »Onkel Jaume hat alles arrangiert.«
    Sie fror in ihrem dünnen schwarzen Kleid. Die Novembersonne verschwand immer wieder hinter hastig ziehenden Wolken. Kalt und feucht kam der Wind von der See, als sie vor der Kirche warteten. Endlich erschien der Pfarrer auf der fernen Kuppe der Straße.
    Der dicke Rafal Gonzales, der auch auf ihre Schule ging, näherte sich ihr, verlegen an seinem schwarzen Pullover zupfend, und sagte, es tue ihm leid. Seine Mutter hatte ihn geschickt. Alle Kinder nannten ihn ›den Bischof‹, weil er so dick war, dass ihm keine Jacke passte. Sie fragte ihn, was ihm leidtue. Er hatte diese Frage weder erwartet, noch verstand er sie. Sie sah seine Verlegenheit und lächelte. Das machte die Sache noch seltsamer. Er grinste ein bisschen blöd, legte den Kopf schräg, zupfte mit zwei Fingern an seinem Pullover und sagte: »Na, das.«
    Auf einem Fahrrad kam der Geistliche mit wehenden Röcken angefahren, und übergab sein Vehikel einem Jungen aus dem Dorf, der die Glocken läuten sollte. Der Geistliche wandte sich mit der erhobenen linken Hand an die wartende Trauergesellschaft, während er mit der rechten in seiner Soutane nach dem Kirchenschlüssel suchte. »Der Gegenwind«, rief er entschuldigend. »Ich habe den Berg kaum geschafft.« Dann schloss er auf, und alle folgten ihm.
    Sie nahmen in der ersten Reihe Platz. Ihre Mutter beugte sich vor und sagte zu Onkel Jaume etwas von Soledads teurem Kostüm. Onkel Jaume drehte sich um, sie tat das auch, konnte aber nichts erkennen, sondern sah nur den dicken Rafal und neben ihm den Kleinen, der sie immer so komisch ansah, wie sie fand, und einmal schon behauptet hatte, er könne Krebse fangen. Als sie ihrer Mutter das erzählt hatte, antwortete die, er sei ein Mischling, weil sich sein Vater eine blonde Frau aus Deutschland mitgebracht habe und dass der Kleine nie wissen werde, wo er hingehöre. Sie hatte danach zwei Einträge über ihn in ihr Tagebuch gemacht, wo sie ihn mit einem extra dafür erfundenen Adjektiv beschrieb, was so viel hieß wie ganz lieb oder knuddelig, und hinzugefügt, wenn er nicht den Fehler hätte, immer so zu gucken und wegen der Krebse zu schwindeln.
    Als Erstes stimmten sie ein Lied an, das sie nicht mitsang, obwohl die Mutter sie zweimal knuffte. Dann kam die Rede des Pfarrers, aber als Onkel Jaume nach vorne ging, um auch zu sprechen, täuschte sie einen Weinkrampf vor und lief hinaus. All die Reden und Beileidsbezeugungen empfand sie als unerträgliches Gejammer. Sie lief bis zu der niedrigen Mauer, hinter der die Felsküste steil zum Meer abfiel.
    In der klaren Herbstluft konnte sie die kleine Insel Tagomago sehen. Sie zählte die Häuser in der Bucht darunter – fünf. Sie drehte sich auf den Absätzen ihrer Sonntagsschuhe und hoffte, sie würden abbrechen. Mitten in der Bewegung blieb sie stecken und fixierte die Felsen mit den windzerzausten Büschen. Der Gesang wurde lauter. Gleich würde sich die Kirchentür öffnen.
    Sie machte einen Handstand und beobachtete die dünnen Rauchfahnen aus den Kaminen, die sich im Himmel auflösten wie der brüchige Gesang der alten Frauen aus der Kirche.
    Sie hörte Schritte, die sich näherten. Damit ihr der Rock nicht über die Augen fiel, hielt sie den Saum des Kleides mit den Zähnen fest. Aber, wer es auch war, er kam von hinten, sie konnte ihn nicht sehen. Für einen Moment dachte sie, es wäre ihr Papi, so vertraut war ihr der Gang, aber als sie auf die Füße sprang, erkannte sie, dass es sein Bruder war. Ihre Freude verflog, ihr Gesicht wurde verzerrt, leer und spöttisch.
    »Ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte er. »Er ist schließlich mein Bruder. Aber glaub mir, da, wo er ist, geht es ihm gut.«
    Sie nickte und dachte, du hast ja keine Ahnung, weil du

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