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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Mutter empfand diese Zustände als enorme Belastung und nahm zu ihrer Entspannung lange Bäder, die die Wohnung mit Zitronengeruch erfüllten. Nur der Duft von Limonen schien sie zu erfrischen. Die Mutter wusch sich die Haare, so oft sie konnte, und bürstete sie, cremte sich nach dem Bad ein und versuchte, mit derartigen Tätigkeiten alle Spannungen zu lösen.
    Sie schrieb in ihr Tagebuch: Mutter geht mehrmals am Tag mit Onkel Jaume aus. Wenn nicht, nimmt sie stundenlang Bäder, so dass man in der Wohnung kaum noch Luft kriegt, und stellt alles Mögliche mit ihrem Gesicht an. Bei Papi hat sie nie Make-up genommen. Wenn sie jetzt ausgeht, sehe ich an ihr Kleider, die sie vorher nicht hatte. Ich glaube, Onkel Jaume bringt sie ihr mit. Daher die Süßigkeiten für mich. Wenn er ihr einen Rock, eine Bluse oder ein Kleid kauft, bringt er für mich Schokolade, Churros, Chupa-Chups und Filipinos mit.
    Jedes Mal, wenn die Mutter mit Jaume Prats ausging, kam sie vorher in ihr Zimmer, um nach dem Rechten zu schauen. Schon wenn sie die Tür öffnete, fühlte sie sich von einer so feindlichen Atmosphäre berührt, dass es sie schon großen Mut kostete, die Türklinke in die Hand zu nehmen, aber die Tür zu öffnen wagte sie nur, wenn sie eine Ausrede parat hatte, zum Beispiel die Information, dass sie jetzt mit Onkel Jaume ausgehe. Sie benutzte diese Ausrede auch, wenn es gar nicht der Fall war und sie nur nachschauen wollte, was ihre Tochter gerade tat.
    Natürlich wusste die Mutter nicht, dass sie Albträume hatte, in denen sie ihren Vater in seinem Verlies sah. Die Träume waren so nachhaltig, dass sie sie nach einer Weile nicht mehr von Tagträumen unterscheiden konnte. In diesen unheilvollen Visionen ließen sich Mutter und Onkel Jaume immer etwas Neues einfallen, um Papi gefangen zu halten und zu quälen.
    Wenn die Mutter und Onkel Jaume ausgingen, versuchte sie sofort, die versperrte Tür zu ihres Vaters Büro zu öffnen. Es gelang ihr nicht, und natürlich hatten die Mutter und Jaume schon längst alles Werkzeug vor ihr versteckt. In dem verschlossenen Büro befanden sich die Sachen ihres Vaters und Fotos von ihm, denn all das sollte ihr übergeben werden, wenn sie achtzehn sein würde.
    Besonders die Sache mit den Fotos machte sie glühend vor Hass. Trotz ihrer Träume glaubte sie, sich ihren Vater nicht mehr vorstellen zu können, außer sie drückte mit den Fäusten gegen ihre Schläfen. Dann konnte sie ihn schemenhaft wahrnehmen, jedoch nicht seine Gesichtszüge, die hinter einem sehr, sehr dünnen Vorhang verborgen schienen. Manchmal traten sie etwas hervor, lösten sich dann aber wieder auf und verschwammen. Manchmal lächelte sein Mund ihr zu, aber es bedeutete ihr keine Erlösung, denn es schien ihr nur eine verzerrte Kopie seines Lächelns zu sein – so, wie man lächelt, wenn man fotografiert wird und jemand »bitte lächeln« sagt. Sie versuchte auch, mit ihm zu sprechen, doch so kurz nach seiner Geiselnahme war er von eisernem Schweigen umgeben. Oder wurde dazu gezwungen, das wusste sie nicht. Sie konnte daran nichts ändern, litt darunter und hatte Schuldgefühle. Sie konnte nachts nicht einschlafen, weil sie sich vorwarf, nicht mehr zu wissen, ob er eine hohe oder tiefe Stimme hatte. Sie erinnerte sich an Sätze aus seiner archäologischen Arbeit. Lange fachliche Monologe konnte sie sich ins Gedächtnis rufen, doch wie er beim Essen über das Essen gesprochen hatte, war ihr entfallen. Diese alltäglichen Dinge verschwanden immer mehr. Dabei war es doch erst so kurz her, dass er weg war. Immer wieder machte sie sich Vorwürfe, dass sie nicht durch die Stadt lief und Alarm schlug, seinen Sarg ausgrub und allen zeigte, dass er leer war.
    In ihr Tagebuch schrieb sie: Heute hat es zum ersten Mal geregnet, seit Papi verschwunden ist.
    Doch kurz bevor sie aus der Wohnung in der Via Romana 38 auszogen, erlebte sie etwas Wunderbares. In der hinteren Hälfte des Flurs der Wohnung war ein großer Standspiegel, vor dem sie öfter stand, wenn sie alleine war. An diesem Tag sah sie ihren Vater zum ersten Mal. Er stand ihr gegenüber und bewegte sich dann hinter sie, so dass er ihr über die Schulter schaute und sie sich beide in dem Spiegel sahen. Ein farbiger Lichtkranz umstrahlte seinen Körper. So sah sie ihn seitdem oft, wenn auch die äußere Erscheinung immer unwichtiger wurde. Was für sie zählte, war die Verbindung zwischen ihm und ihr – trotz seiner Geiselnahme und Abwesenheit. Sie konnte ihn von da an

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