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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Artikel?«
    »Gut.«
    »Über Laureana Sanchez?«
    »Erstaunliche Frau.« Erstaunlich kann alles sein, dachte er.
    »Ja.« Sie schlüpfte flink unter das Laken.
    Im Licht der Nachttischlampe hatten ihre Augen dunkle Flecken in der Iris. Dadurch wirkten sie fast schwarz, und er empfand sie neben sich wie ein neugieriges Kind, das ihn beobachtete. So lagen sie schweigend, reglos die Gesichter einander zugewandt. Es war eine Gelegenheit, ihr mitzuteilen, dass er die Sanchez bereits getroffen hatte.
    »Ich musste sie aufsuchen.« Er war zu müde, um alles wiederzugeben.
    Sie berührte ihn an der Schulter. »Und?«, schon fast schlafend.
    Er senkte seine Stimme zu einem einschläfernden Murmeln und erzählte ihr allerlei belanglose Vermutungen über die Archäologin. Er sprach monoton und sanft, wie mit einem Kind, das einschlafen soll.
    »Und dann?«, fragte sie schon fast schlafend.
    »Ihr Redefluss zeigt, wie einsam sie ist. Sie redet vor sich hin, macht keine Pausen, damit der andere auch mal was sagen kann, aber plötzlich hört sie einfach auf zu sprechen, mitten im Satz, und starrt einen an.« Er war inzwischen schon so leise geworden, dass er aufhören konnte, aber sie stupste ihn wieder.
    »Erzähl weiter.«
    Das monotone Sprechen, dieses Raunen und Wispern, war wie ein Liebesersatz für sie. »Es fällt ihr schwer, das Tempo ihrer Rede richtig einzuschätzen, sie zu verlangsamen und einem auch mal eine Frage zu erlauben«, murmelte er, »ich habe den Eindruck, dass sie selbst manchmal überrascht ist, was sie gesagt hat.«
    Er hörte auf, kuschelte sich an sie.
    Sie hatte immer noch nicht genug. »Für dich ist sie also eine weltfremde Geschichtsprofessorin.« Bestenfalls, dachte er, aber Karin hatte ihre hohe Meinung von der Sanchez und duldete keinen Widerspruch. Sie wollte ihren Frieden und einschlafen.
    »Ich halte sie nicht wirklich für weltfremd. Gelehrte haben oft so ihren Spleen. Einstein hatte dreißig identische Anzüge im Schrank, damit er sich nicht mit der Entscheidung aufhalten musste, was er anziehen sollte. Wenn einem jemand bei Fragen zur Totenstadt oder irgendwelchen Höhlen weiterhelfen kann, dann ist sie es.«
    Eine Weile lagen sie da, und er wusste nicht, ob sie schon schlief. Die gnadenlose Hitze des Tages, der plötzliche Luftdruckwechsel nach dem Sturm und die Aufregung hatten sie beide erschöpft. Er fuhr langsam mit seiner Hand ihren glatten braun gebrannten Arm hinauf bis zur runden Schulterkuppe.

kapitel dreizehn
    Sie und ihr Vater hatten immer genau gewusst, was zu tun war, wenn sie zusammen gewesen waren. Jeder fühlte, was der andere gerade dachte, und so brauchten sie nicht viel zu reden. Im Gegenteil – sie konnten zur Irreführung anderer, zum Beispiel der Mutter, über etwas ganz anderes sprechen als über das, was sie dachten. In das unverfängliche Gespräch, an dem die Mutter teilnahm, konnten sie durch bestimmte sprachliche Wendungen geheime Nachrichten einflechten und sich auf einer Gedankenebene austauschen, auf der sie sich ganz alleine bewegten. Nur sie zwei. Auf diese Weise konnten sie sich sogar über die Mutter unterhalten, ohne dass sie es merkte. Sie führten mit ihr ein lautes Gespräch und – für sie unhörbar – zugleich ein anderes. Das setzte nicht nur ein großes Verständnis, sondern auch ein großes Vertrauen voraus.
    Sie fühlte sich immer geborgen bei ihm. Während sie an einer Vase, die er aus dem Fels gelöst hatte, Steine abklopfte und mit einem Pinsel den Sand entfernte, betrachtete er das Artefakt in ihren Händen, um in seinem Notizblock eine kurze Skizze anzufertigen und den Fundort sowie die Fundzeit festzuhalten. Von ihm lernte sie, wie sie eine Vase zu halten hatte, wenn sie durch Risse und Sprünge beschädigt war. War es besser, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, zu nummerieren und sorgfältig zu verpacken? Oder schien es ratsam, das Gefäß so zu lassen, wie es war, weil das Gefüge noch stabil genug war?
     
    Die Tage nach der Beerdigung schrie sie so viel, dass sie nicht zur Schule musste. Sie lag im Bett und schrie, bis sie erschöpft war und einschlief. Jeden Tag kam Onkel Jaume und brachte ihr Schokolade oder eingewickeltes Eis am Stiel oder in Bechern, wo es ziemlich bald heraustropfte. Deswegen stellte die Mutter es immer auf einen großen Teller neben das Bett. Da sie Fliegen hasste und die süße Eissauce Fliegen in Scharen anlockte, schüttete sie immer alles sofort in die Toilette und zog zweimal.
    Die an Diabetes leidende

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