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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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haben, so einen dicken Wälzer zu lesen?
    Nach dem Essen begann sie eine Unterhaltung über die Forschungsergebnisse der Sanchez, aber er war nicht wirklich bei der Sache; er dachte an die vor ihnen liegende Nacht. Als sich dann so gar nichts in die ersehnte Richtung tat, nahm er schließlich ihren Artikel über die Ausgrabungen und überflog ihn flüchtig.
    Sie zitierte die Sanchez aus einem Vortrag, den sie vor einigen Archäologiestudenten aus Madrid gehalten hatte. »Meist ist es eine Floskel, wenn jemand sagt, er gehe in seinem Beruf völlig auf, aber bei uns muss es die Wahrheit sein, denn auf uns warten weder Geld noch Ruhm, auf uns warten die Mühen der Ausgrabungen und des Zusammensetzens von Puzzeln.« An einer anderen Stelle hieß es über Ibiza: »Die Augen dieser Insel haben eine Menge gesehen, aber kein Mund spricht für sie. Wenn ich aufs Meer schaue, sehe ich Flamingos von den Salzfeldern aufsteigen, aber ich sehe auch die Fregatten, die brennend und steuerlos an den Mauern der Burg vorbeitreiben, ihre Besatzungen von den Krummdolchen unserer Piraten aufgeschlitzt. Die Schönheit und die Grausamkeit Ibizas gehören zusammen. Ich sehe die Hochebene von Santa Inés, dann, wenn der Wind die Mandelblüten wie Schneeflocken durch die Luft wirbelt, aber ich sehe auch die Gebeine der Verscharrten aus dem Bürgerkrieg. Ich sehe all das, ohne es zu bewerten, denn es ist Teil unseres Daseins. Nur wer mit der Geschichte lebt, kann die Gegenwart verstehen.«
    Mag sie es so gesehen haben oder nicht – die Entwicklung Ibizas war brutal verlaufen. Jede Besatzungsmacht hatte ihre Spuren hinterlassen, aber während es früher noch Jahrhunderte dauerte, bis Iberer, Phönizier, Punier, Römer, Vandalen, Araber, die Bischöfe und Könige des spanischen Hofes einander ablösten, hatte das 20. Jahrhundert die Insel in kürzester Zeit verändert: ein König, ein Diktator, ein Bürgerkrieg, ein neuer Diktator, ein neuer König – und zum ersten Mal nach einigen tausend Jahren die Demokratie. Die Hippies hatten die Insel auf den Spuren von Ernest Hemingway, Federico Garcia Lorca, Walter Benjamin und William Burroughs noch zu Zeiten der letzten Diktatur entdeckt. Die Vorspeise des Naked Lunch wurde in Tanger eingenommen, das Hauptgericht in Goa und der Nachtisch in San Carlos auf Ibiza. Mit der Demokratie kam in den Siebzigern der Massentourismus.
    Costas Familie, allen voran Josefa, die Piratin, und ihr damals gerade aus Kuba zurückgekehrter Sohn Joan Costa Mari, erkannten die Zeichen und verwandelten ihre landwirtschaftlich wertlosen Grundstücke, deren Böden von Salzwasser und Sand durchtränkt waren, in Vergnügungszentren mit Hotelanlagen, Spielhallen, Diskotheken, Restaurants und Pubs. Die große Landflucht hatte begonnen. Bauernhöfe, die über Jahrhunderte ihre Bewohner ernährt hatten, lagen plötzlich brach, weil die Söhne ihr Geld nicht mehr mit dem Esel auf dem Feld verdienen wollten, sondern als Kellner, Liegenaufsteller oder Maurer. Mit den Bewohnern der weit verstreuten Fincas verschwanden die Tiendas, Zentren des dörflichen Lebens, eine Mischung aus Einkaufsladen, Bar, Telefonzentrale und Wohnzimmer mit Schwarz-Weiß-Fernseher. Für ihn als Kind waren es Orte voller seltsamer Dinge und Gerüche, denn in den Tiendas wurde verkauft, was sich in Ibiza nicht herstellen ließ: Reis für die Paellas, Seifen und Waschmittel, Stockfisch, den norwegische Boote im Austausch für Salz brachten, Schokolade und Zucker. Barzahlung war den Bauern fremd, sie brachten Oliven, Ziegenkäse, Fisch, Mandeln und Kräuterschnaps zur Verrechnung ihrer Einkäufe. Costa liebte die Erinnerungen daran.
    Mit diesem Gedanken war er eingeschlafen, Karins Artikel war seinen Händen entfallen, und als sie ihn weckte, bot sie ihm schließlich an, über Nacht zu bleiben.
    Die Finca auf dem Gelände der Nekropolis sollte ich ihr unbedingt einmal zeigen, dachte er, als er ins Bad ging. Am besten zur Siesta.
    Als sie hereinkam, um sich auch die Zähne zu putzen, hatte sie etwas so Verlockendes an sich, dass er sich aufrichtete und sie ganz offen ihm Spiegel betrachtete. Sie bemerkte seinen zärtlichen Blick und zwinkerte ihm zu. »Reiß dich zusammen, Bulle.«
    Er mochte ihre kleinen Frechheiten. »Überraschend und würzig,« sagte er laut, als er ins Schlafzimmer ging. Er nahm noch einmal ihren Artikel zur Hand und suchte die Stelle, wo er aufgehört hatte.
    Sie zog sich aus und stand nackt vor ihm. »Wie gefallen dir meine

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