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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Nichts ist vorhersagbar, nichts ergibt mehr einen Sinn, überall Fußangeln und Schlaglöcher. Die Gesellschaft hat kein Fundament mehr. Die Zeiten sind wahrhaft düster, Oscar. Manchmal glaube ich, das Land ist dabei, den Verstand zu verlieren.«
    »Weshalb sagst du das?«
    »Schau dich doch bloß mal um. Ich meine, schau dir an, mit welchen Problemen wir es zu tun haben.« Pelicanos zog die Schultern hoch und zählte an den Fingern ab. »Meine Frau ist schizophren. Bambakias hat eine schwere Depression. Die arme Moira ist in der Öffentlichkeit durchgedreht und hat einen Anfall bekommen. Dougal ist Alkoholiker. Green Huey leidet an Größenwahn. Und dann diese Verrückten, die dich umbringen wollten – der Vorrat an diesen Leuten ist schier unerschöpflich.«
    Oscar ging schweigend weiter.
    »Interpretiere ich da vielleicht zu viel hinein? Oder gibt es wirklich einen Trend?«
    »Ich würde eher von Tiefenströmung sprechen«, meinte Oscar nachdenklich. »Die ist für die traumhaften Umfrageergebnisse seit Bambakias’ Zusammenbruch verantwortlich. Er ist der klassische politische Charismatiker. Seine Schwächen lassen seine politischen Stärken umso deutlicher hervortreten. Die Menschen spüren, dass er authentisch ist, sie erkennen, dass er der Richtige ist in dieser Zeit. Er repräsentiert das amerikanische Volk. Er ist die geborene Führerpersönlichkeit.«
    »Ist er derzeit in der Lage, für uns in Washington tätig zu werden?«
    »Also, sein Name wirkt noch immer Wunder… Aber realistisch gesehen, nein. Lorena hat mich informiert, und offen gesagt, ist er momentan richtig weggetreten. Er hat Wahnvorstellungen, den Präsidenten und einen heißen Krieg mit Europa betreffend… Er glaubt, unter jedem Bett seien holländische Agenten versteckt… Man probiert verschiedene Antidepressiva bei ihm aus.«
    »Wird es funktionieren? Wird es gelingen, ihn zu stabilisieren?«
    »Tja, die Behandlung findet starken Widerhall in den Medien. Seit dem Hungerstreik hat Bambakias eine große medizinische Fangemeinde… Die haben eigene Sites und Server… Jede Menge Genesungswünsche per E-mail, Hausrezepte, Wetten auf die Totenwache… Das klassische Massenphänomen. Du weißt schon, T-Shirts, Sticker, Kaffeetassen, Kühlschrankmagneten… Ich weiß nicht, irgendwie läuft das aus dem Ruder.«
    Pelicanos rieb sich das Kinn. »Die Aasgeier von der Boulevardpresse haben anscheinend einen Popstar aus ihm gemacht.«
    »Genau. Gut gesagt. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.«
    »Müssten wir uns deswegen nicht Vorwürfe machen, Oscar? Ich meine, im Grunde ist das doch alles unsere Schuld, oder?«
    »Glaubst du wirklich?« sagte Oscar überrascht. »Ich bin so dicht dran, dass ich nicht mehr urteilen kann, weißt du.«
    Ein Fahrradbote hielt bei ihnen an. »Ich habe ein Paket für einen Mr. Hamilton.«
    »Das ist der im Rollstuhl«, sagte Oscar.
    Der Bote warf einen Blick auf den Satellitenempfänger. »Ah, ja. Stimmt. Danke.« Er radelte weiter.
    »Jedenfalls warst du nie sein Stabschef«, sagte Pelicanos.
    »Ja, das stimmt. Das ist ein Trost.« Oscar beobachtete, wie der Fahrradbote mit seinem Sicherheitschef sprach. Kevin quittierte zwei folienverschweißte Pakete. Er warf einen Blick auf den Absender, dann sprach er ins Mikrofon.
    »Wusstest du, dass er sich von diesen Paketen ernährt?« fragte Pelicanos. »Große weiße Stangen, wie Stroh und Kreide. Er kaut ständig drauf herum. Eine Art Wiederkäuer.«
    »Wenigstens isst er«, meinte Oscar. Sein Telefon klingelte. Er zog es aus dem Ärmel hervor und sagte: »Hallo?«
    Er vernahm eine ferne, kratzige Stimme. »Ich bin’s, Kevin.«
    Oscar drehte sich um und schaute zu Kevin hinüber, der ihnen in zehn Schritten Abstand mit dem Rollstuhl folgte. »Ja, Kevin? Was gibt’s denn?«
    »Ich glaube, da tut sich was. Jemand hat in dem Labor dort drüben soeben Feueralarm ausgelöst.«
    »Na und«
    Oscar beobachtete, wie sich Kevins Mund bewegte. Die Worte erreichten sein Ohr mit zehn Sekunden Verzögerung. »Na ja, das ist eine abgeschlossene, luftdichte Kuppel. Die Leute hier nehmen Feuer ziemlich ernst. Ende.«
    Oscar musterte das Gitterwerk über ihren Köpfen. Es war ein strahlend blauer Winternachmittag. »Ich sehe keinen Rauch. Kevin, was ist denn mit Ihrem Telefon?«
    »Abhörgegenmaßnahmen – ich habe das Gespräch achtmal um die Welt geleitet, Ende.«
    »Aber der Abstand beträgt doch bloß zehn Meter. Weshalb rollen sie nicht einfach ein Stück vor und sprechen

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