Brennendes Land
nicht unterbrechen, wenn er schon mal in Geständnislaune war.
»Also hab ich die Wanzen eingesammelt und stattdessen meine eigenen angebracht. Weil ich ja nun der Hacker bin, der zum Superuser geworden ist. Ich habe nicht bloß die Computer hier geknackt. Ich habe die ganze Umgebung geknackt. Ich habe jederzeit zu allem Zugang, was hier drinnen vorgeht. Ich bin ein Cop. Aber ich bin mehr als ein Cop. Ich meine, ein Cop ist was Normales – ein weißer Angloamerikaner, der den aufmüpfigen Ureinwohnern seine Vorstellung von Ordnung aufzwingt. Scheiße, das war früher in allen amerikanischen Städten so. Und ich war scharf darauf, es zu tun, Mann. Ich hab mich selbst geliebt, ich hielt mich für ‘nen Magier. Es war hochinteressant, anderen Leuten beim Sex zuzusehen. Aber nach dem sechzigsten, siebzigsten wird’s langweilig, Mann. Einfach langweilig.«
»Tatsächlich?«
»Aber klar doch. Und es hat seinen Preis. Seit ich Sie kennen gelernt habe, hab ich’s kein einziges Mal mehr gemacht! Ich trau mich nicht! Weil ich der Geheime Oberbulle bin. Ich jage jeder anständigen Frau einen höllischen Schrecken ein. Unanständige Frauen sehen das ein wenig anders. Außerdem hab ich einfach keine Zeit mehr für meine Bedürfnisse! Der Großinquisitor ist anderweitig viel zu beschäftigt. Ich muss die ganzen Mitschnitte nach Schlüsselwörtern abscannen. Jedesmal, wenn irgendwo was vorgefallen ist, muss ich die Videos durchforsten. Irgendwelchen Wanzen geht der Saft aus, oder sie werden gefunden, oder jemand tritt darauf. Im Wald halten sich Kobolde versteckt. In der Luft schwirren Sonden rum. Es gibt Betrunkene, verirrte Kinder, Kleindiebstähle. Es gibt Feueralarm und Autounfälle. Und ich muss mich drum kümmern. Um jeden Mist!«
»Kevin, Sie wollen mich doch nicht etwa im Stich lassen?«
»Sie im Stich lassen? Mann, ich bin für den Job wie geschaffen. Ich bin am Ziel meiner Träume. Bloß verwandele ich mich dadurch in ein Monster. Das ist alles.«
»Kevin, ich finde, Sie sind gar kein so übler Bursche. So schlimm ist es hier gar nicht. Hier herrscht kein Chaos. Die Lage ist stabil.«
»Klar, ich sorge ja für Ordnung. Aber mit Recht und Gesetz hat das nichts zu tun, Oscar. Hier herrscht Ordnung, aber es gibt kein Gesetz. Wir lassen zu, dass uns die Dinge entgleiten. Wir lassen zu, dass die Lage kritisch und unberechenbar wird. Wir nehmen zu Augenblicksentscheidungen Zuflucht. Ich sorge für Ordnung, weil ich insgeheim ein Tyrann bin. Ich habe alles mögliche, bloß keine Legitimität. Ich habe keine Bremsen. Ich habe keine Ehre.«
»Damit kann ich leider nicht dienen.«
»Sie sind Politiker, Oscar. Aber Sie haben mehr verdient. Sie sollten ein Staatsmann sein. Sie sollten mir ein wenig Ehre verschaffen.«
Ein Telefon läutete. Kevin stöhnte auf, nahm einen Laptop zur Hand und drückte eine Funktionstaste. »Eigentlich dürfte niemand diese Nummer kennen«, klagte er.
»Ich dachte, das hätten Sie mittlerweile im Griff.«
»Eine typische Politikerbemerkung. Ich habe ein paar Sicherungen, Dummies und Firewalls installiert, und Sie glauben gar nicht, wie viele Netzangriffe darin hängenbleiben.« Er warf einen Blick auf den Rückverfolgungsbericht auf dem Laptopbildschirm. »Was, zum Teufel, ist das?« Er nahm den Anruf entgegen. »Ja?«
Fünfundvierzig Sekunden lang lauschte er aufmerksam. Oscar nutzte die Gelegenheit, um Kevins Büro in Augenschein zu nehmen. Ein so unoffiziell wirkendes Büro hatte er noch nicht gesehen. Pin-up-Bilder, schmutzige Kaffeetassen, rituelle Masken, kaputte Telekommunikationshardware, aufgehängt an billigen Nägeln…
»Es ist für Sie«, sagte Kevin schließlich und reichte Oscar den Hörer.
Der Anrufer war Jules Fontenot. Fontenot war aufgebracht. Es war ihm nicht gelungen, Oscar über einen herkömmlichen Anschluss zu erreichen. Schließlich hatte er über ein Geheimdienstbüro in Baton Rouge die Polizeizentrale des Labors angerufen. Der Aufwand hatte ihn erbost.
»Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass unser Telefonsystem in einem so schlechten Zustand ist, Jules. Seit Ihrem Fortgang hat sich hier eine Menge verändert. Aber ich freue mich, von Ihnen zu hören. Ich weiß Ihre Hartnäckigkeit zu schätzen. Was kann ich für Sie tun?«
»Sind Sie immer noch sauer auf Green Huey?« krächzte Fontenot.
»Ich war niemals ›sauer‹ auf Huey. Profis werden nicht sauer. Ich hatte mit ihm zu tun.«
»Oscar, ich bin im Ruhestand. Daran soll sich auch nix ändern. Ich
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