Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
Machtausübung vollauf beschäftigt. Auf Kevins Party gab es zudem richtiges Essen. Nachdem sie tagelang von den Biotech-Rationen der Nomaden gelebt hatten, legten Wissenschaftler und Prolos einen wahren Wolfshunger an den Tag.
    Oscar bedauerte Burningboys Weggang. Er sah keinen Sinn darin. Burningboy, der bereits betrunken war, nahm Oscar beiseite und erläuterte ihm mit schonungsloser Offenheit seine Beweggründe. Sein Fortgang hatte mit sozialen Netzwerkstrukturen zu tun.
    »Früher sind wir mit derlei Dingen genauso umgegangen wie die Regulatoren«, vertraute Burningboy ihm an. »Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Das hat bei denen aber eine Aristokratie entstehen lassen – die Sonnenlords, die Edelmänner, die Respektierten, bis hinunter zu den lausigen Neuligen. Wir Moderatoren setzen auf Wahlen. Daher gibt es Fluktuation; Leute können ihren Ruf mindern, ihn verspielen und wiedergewinnen. Außerdem – und das ist der springende Punkt – verhindern wir auf diese Weise Enthauptungsschläge. Der Staat hat es immer auf die ›kriminellen Rädelsführer‹ abgesehen. Er will den ›Kopf des Vereins‹, den so genannten Mastermind.«
    »Die Unterhaltungen mit Ihnen werden mir wirklich fehlen«, sagte Oscar. Es war lange her, seit er sich das letzte Mal in komplettem Sonntagsstaat, das heißt mit Gamaschen, Schärpe und Hut, in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Er hatte das Gefühl, als sei er eine Million Meilen von Burningboy entfernt und empfange die Signale eines fernen Planeten.
    »Hören Sie, Oscar, nach dreißig Jahren des imperialistischen Infokriegs hat jeder Mensch auf der gottverdammten weiten Welt Verständnis für Gegenaktionen und politische Subversion. Wir wissen mittlerweile alle, wie man es anstellt, wir wissen, wie man das herrschende Paradigma klein kriegt. Wir sind Genies darin, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und all unsere Institutionen zu demontieren. Es gibt keine einzige funktionsfähige Institution mehr.« Burningboy legte eine Pause ein. »Bin ich vielleicht zu radikal? Mache ich Ihnen Angst?«
    »Nein. Das ist die Wahrheit.«
    »Und deshalb gehe ich nun ins Gefängnis. Wir Moderatoren kennen drüben in Neumexiko einen einsichtigen Richter. Der wird mich wegen einer völlig unbedeutenden Sache einlochen. Also sitze ich zwei, drei Jahre in einem Staatsgefängnis mit minimalem Sicherheitsstandard ab. Ich glaube, wenn ich erstmal behaglich im Knast sitze, könnte ich das Schlamassel, das Sie hier angerichtet haben, überleben.«
    »Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie tatsächlich ins Gefängnis gehen, Burningboy.«
    »Sie sollten’s mal ausprobieren, Amigo. Dort lebt die unsichtbare Bevölkerung Amerikas. Im Gefängnis gibt es alles, was man sich wünscht. Die Leute haben eine Menge Zeit. Es gibt eine eigenartige Untergrundwirtschaft auf der Basis von Drogen und Tätowierungen. Man hat viel Zeit zum Nachdenken. In einem Gefängnis bereut man wirklich seine früheren Fehler.« Burningboys Blick schweifte in die Ferne. Oscar verlor den Kontakt zu ihm; es war, als stünde er auf dem blumenbestreuten Deck eines Walkürenschiffes, unterwegs zur Küste von Avalon. »Außerdem haben ein paar von den armen Schweinen tatsächlich schlechte Zähne. Wenn ich im Knast bin, kann ich wieder als Zahnarzt praktizieren. Habe ich Ihnen schon mal gesagt, dass ich früher Zahnarzt war? Das war, bevor der Impfstoff gegen Karies meinen Berufsstand vernichtet hat.«
    Oscar hatte ganz vergessen gehabt, dass Burningboy einmal Zahnarzt gewesen war. Der Mann hatte tatsächlich einen Doktortitel erworben. Oscar fand dies bestürzend, nicht nur weil die Vernichtung dieses hehren Berufsstandes ein Gradmesser war für den sozialen Niedergang Amerikas. Es beunruhigte ihn, dass er anfing, wichtige Informationen zu wichtigen Leuten zu vergessen. War er mit neunundzwanzig bereits zu alt? Baute er allmählich ab? Hatte er sich übernommen? Vielleicht lag es daran, wie Burningboy sich kleidete und wie er redete. Er war ein Dropout, ein Prolo, eine Randfigur. Man konnte ihn nur vorübergehend ernst nehmen.
    »Ich bedaure nichts«, sagte Burningboy und leerte sein Cocktailglas in einem Zug. »Ich habe meinen Leuten hier eine Menge Ärger eingebrockt. Das war nicht meine Idee – das war Ihre verdammte Idee –, aber sie hätten es nicht getan, wenn ich nicht mein Okay gegeben hätte. Wenn man das Leben von Hunderten von Menschen verändert, sollte man auch einen hohen Preis dafür

Weitere Kostenlose Bücher