Brennendes Land
vollkommen einer Meinung mit dir.« Er fühlte sich so stolz.
»Klar – es könnte wundervoll werden, wenn das jemand anders machen würde. Es geht mir gegen den Strich, der Wissenschaft das anzutun. Ich bedaure es zutiefst. Aber ich stehe am Scheidepunkt, und es bleibt mir einfach keine andere Wahl.«
»Was würdest du denn lieber tun?«
»Was ich lieber tun würde?« wiederholte sie. »Ich würde lieber die Arbeit über die Auswirkung der Acetylcholin-Freisetzung im Hippocampus fertigstellen. Was anderes habe ich nie gewollt! Ich träume davon, dass dieses fürchterliche Durcheinander eines Tages ein Ende haben und dass man mir dann wieder gestatten wird, das zu tun, was ich tun will.«
»Ich weiß, dass du dir das wünschst. Mittlerweile verstehe ich das sehr gut. Ich weiß auch, was es bedeutet, Greta: es bedeutet, dass ich dich im Stich gelassen habe.«
»Nein. Doch. Aber das ist unwichtig. Das große Ganze wird funktionieren.«
»Ich sehe nicht, wie das zugehen sollte.«
»Warte, ich zeig’s dir.« Sie nahm ihre Handtasche und ging hinaus. Eine Lampe ging an. Er hörte das Geräusch fließenden Wassers. Plötzlich wurde Oscar bewusst, dass er den eigentlichen Anlass seines Besuchs ganz vergessen hatte. Huey und sein angebliches Flüchtlingslager voller Haitianer. Er war überzeugt, dass Huey, der besessen war von der Vorstellung, dass die Hirnforschung ganz groß im Kommen war, in seinem Überschwang etwas Schreckliches getan hatte. Er wusste, dass es etwas mit Gretas Hirnforschung zu tun haben musste. Tragischerweise hatte Greta selbst keinerlei Interesse an den praktischen Implikationen ihres Tuns. Sie war allergisch gegen jede Art von Einschränkungen. Sie konnte sich nicht abfinden mit den uferlosen politischen und moralischen Implikationen der reinen Wissenschaft. Dies langweilte sie zu Tode. Das hatte mit Wissenschaft einfach nichts zu tun. Das hatte nichts Wissenschaftliches an sich. Dem Fortschritt versagten die Bremsen. Was sollte in einer solchen Welt aus den Wissenschaftlern werden? Was, zum Teufel, sollte man mit ihnen anfangen?
Sie kam wieder zurück. Sie hatte sich im Bad ein wenig frisch gemacht. Sie hatte schwarzen Eyeliner aufgetragen, und auf ihren Wangen prangte bunte Kriegsbemalung.
Er war verblüfft.
»Das war nicht meine Idee«, sagte sie abwehrend. »Das hat sich deine Imageberaterin einfallen lassen – für die Party heute Abend. Ich wollte mich eigentlich für dich so schminken, aber es kam mir einfach zu lächerlich vor. Deshalb hab ich in letzter Minute alles wieder entfernt.«
»Aber das war ein großer Fehler«, sagte er und lachte. »Das ist wunderschön. Das ist wirklich heiß. Das ist mehr als nur erstaunlich. Das ist so ungewöhnlich. Ich kann’s einfach nicht glauben.«
»Vor dir siehst du eine sechsunddreißigjährige jüdische Frau, die sich in eine verrückte Außenseiterin verwandelt hat.«
»Aber nein. Nur deshalb, weil du Greta Penninger bist, funktioniert es überhaupt. Das ist die noch mit Hose und Laborkittel bekleidete, mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Direktorin eines staatlichen Labors, die sich als Stadtguerilla outet.« Er biss sich auf die Lippe. »Dreh dich mal um. Zeig dich.«
Sie breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. Sie hatte sich einen Kopfschmuck aus billigen Perlen an den Hinterkopf gesteckt. »Das gefällt dir, nicht wahr? Vielleicht ist es gar nicht so übel. Ich sehe nicht seltsamer aus als der Präsident, meinst du nicht?«
»Greta…« Er räusperte sich. »Du glaubst gar nicht, wie gut das funktioniert. Für mich haut es hin. Es macht mich ganz heiß und fickerig.«
Sie blickte ihn überrascht an. »Hm. Meine Mutter meinte immer, mit einem guten Make-up fängt man Männer.«
»Zieh den Kittel aus. Und auch die Bluse.«
»Warte mal. Nimm die Hände weg.«
»Weißt du, wie lange es her ist? Eine ganze Ewigkeit. Ich kann mich nicht mal mehr an letztes Mal erinnern.«
»Okay! Später! Im Bett! Wenn du wieder normale Farbe hast.«
Er fasste sich an die Wange. Die Haut war brennend heiß. Verwundert fasste er sind an die Ohren. Sie fühlten sich an wie frittiert. »Wow«, murmelte er. »Ich bin überwältigt.«
»Das ist doch bloß Make-up.«
»Nein, das stimmt nicht. Jetzt weiß ich, weshalb Donna hier bleiben wollte – jetzt weiß ich, weshalb Donna meinte, es werde doch gerade erst interessant. Diese Frau ist ein kleines Genie. Du kannst nicht behaupten, das ginge dir nicht unter die Haut. Das ist eine ebensolche
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