Brennendes Land
unterzogen Kevin und Oscar sich der höchst melodramatischen Prozedur, sich als Luftnomaden zu verkleiden. Die üblichen Anzüge borgten sie sich von zwei Moderatoren-Luftjockeys aus. Diese behaglichen Kleidungsstücke bestanden aus genietetem Baumwollsegeltuch mit Faserfüllung. Es handelte sich um Schutzbekleidung aus industrieller Fertigung, mit zahlreichen Stickereien und durch den verschwenderischen Gebrauch intensiv riechender Hautsalbe zu einem Stammesutensil umfunktioniert. Kevlarhandschuhe, schwarze Gummistiefel, große, gefütterte Sturzhelme und bruchfeste Schutzbrillen vervollständigten die Ausrüstung.
Oscar gab seinem gutmütigen Double noch ein paar letzte Verhaltensregeln, dann legte er seine Verkleidung an. Er verwandelte sich in ein Wesen eines fremden Kulturkreises. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, in der Nomadenmontur in Buna-Stadt herumzustolzieren. Das Ergebnis verblüffte ihn. Oscar war in Buna gut bekannt; sein skandalöses Privatleben war in aller Munde, und das von ihm erbaute Hotel war eine Attraktion. Mit Fliegeranzug, Schutzbrille und Helm erkannte ihn jedoch niemand. Die Blicke der Passanten glitten achtlos an ihm vorbei. Er strahlte Fremdartigkeit aus.
Kevin und Oscar hatten verabredet, um Mitternacht aufzubrechen. Oscar verspätete sich. Seine Armbanduhr funktionierte nicht richtig. Er hatte seit Tagen leicht erhöhte Temperatur, was die Mäusehirne veranlasste vorzugehen. Oscar war gezwungen gewesen, mit dem Sonnenscheintimer die Reset-Funktion auszulösen, doch nun ging die Uhr nach. Er kam zu spät, und es war schwieriger als erwartet, auf das Dach des Laboratoriums zu klettern. Außerhalb der Kuppel herrschte tiefe Februarnacht, die Umgebung war zugig und einschüchternd, eine ermüdende Abfolge endloser Treppen und Leitersprossen.
Außer Atem und zitternd gelangte er schließlich auf das sternenüberwölbte Dach des Laboratoriums, doch die optimale Wetterkonstellation hatte er verpasst. Kevin war klugerweise bereits gestartet. Mithilfe einer gelangweilten Moderatorencrew schnallte Oscar sich auf dem zerbrechlichen Flugzeug fest und startete gleich anschließend.
Während der ersten Stunde lief es ganz gut. Dann wurde er von einer Treibhaus-Sturmfront erfasst, die ihren Ursprung im launischen Golf von Mexiko hatte. Er wurde bis nach Arkansas hineingeweht. Während es Tausende von Radarsignalen auswertete, wechselte das smarte und erschreckend billige Flugzeug mit Übelkeit erregendem Geschaukel von einer thermischen Strömung zur nächsten und näherte sich mit der stumpfsinnigen Hartnäckigkeit eines netzgesteuerten Automaten immer weiter seinem Bestimmungsort. Wundgescheuert vom schlecht sitzenden Schutzanzug schlief Oscar irgendwann ein und hing in den Gurten wie ein Sack Rüben.
Dass der Pilot eingeschlafen war, machte dem Nomadenflugzeug nichts aus. Als Oscar bei Tagesanbruch erwachte, stellte er fest, dass er über den verregneten Sümpfen des Bayou Teche flog.
Das Bayou Teche war hundertdreißig Meilen lang. Dieser tote Flussarm war vor etwa dreitausend Jahren einmal der Hauptlauf des Mississippi gewesen. Während eines kurzen und ausgesprochen katastrophalen Frühjahrs des einundzwanzigsten Jahrhunderts war das Bayou Teche wieder zum Hauptarm des Mississippi geworden. Die sintflutartigen Wassermassen hatten alles mitgerissen, überschwemmungssichere Betondeiche, schattenspendende bemooste Eichen, prächtige Farmen aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, rostzerfressene Zuckermühlen, stillgelegte Bohrtürme, alles, was ihnen im Wege stand. Die Flut hatte Breaux Bridge, St. Martinville und New Iberia verwüstet.
Das Teche war schon immer eine Welt für sich gewesen, ein morastiges Biom, scharf abgegrenzt von der eigentlichen Mississippi-Ebene, wo Reis angebaut wurde. Die Zerstörung von Straßen und Brücken und die darauf folgende Ausbreitung des Sumpf- und Marschlandes hatten dazu geführt, dass im Teche wieder unheimliche, wasserdurchtränkte Ruhe eingekehrt war. Das Bayou war nun eines des ursprünglichsten Gebiete Nordamerikas – nicht weil man es vor dem Fortschritt bewahrt hatte, sondern weil der Fortschritt zunichte geworden war.
Während des schwankenden Sinkflugs nahm Oscar Fontenots neue Umgebung in Augenschein. Der ehemalige Staatsangestellte hatte eine abgelegene Siedlung zu seinem Wohnort erkoren, errichtet auf aus Betonblöcken zusammengesetzten Säulen, die Wohnhäuser umgeben von Nebengebäuden und billigen Stromgeneratoren auf
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