Brennendes Wasser
davon abhoben.
Nachdem sie dem Mann hastig den Weg beschrieben hatte, stieg Sandy in den Wagen und verriegelte sofort die Türen. Ihr war egal, wie unhöflich das wirkte. Als sie rückwärts aus der Parklücke fuhr, schien der Kerl es gar nicht so eilig zu haben, die Anzeigenabteilung aufzusuchen. Er stand einfach da und musterte sie mit kaltem, reglosem Blick. Sie war Mitte dreißig, hatte langes kastanienbraunes Haar und eine athletische Figur, weil sie regelmäßig joggte und häufig ins Fitnessstudio ging. Ihr gebräuntes Gesicht war angespannt und hager, aber nicht unattraktiv, und wurde von großen himmelblauen Augen beherrscht.
Immerhin war sie hübsch genug, um mitunter die Aufmerksamkeit so mancher seltsamen Gestalt zu erregen, wie sie hier in der Stadt an jeder Ecke zu lauern schienen. Sie kannte sich da draußen aus, und während ihrer Jahre als Polizeireporterin, vor der Versetzung zum Rechercheteam, hatte sie sich ein überaus dickes Fell zugelegt. Doch auch wenn sie normalerweise nur schwer einzuschüchtern war, jagte dieser Spinner ihr eine Gänsehaut ein. Es war nicht bloß sein Aussehen. Ihn schien irgendwie der Hauch des Todes zu umwehen.
Sandy sah in den Rückspiegel und stellte erstaunt fest, dass der Mann verschwunden war. Unverhofft kommt oft, dachte sie und machte sich Vorwürfe, dass sie ihn nicht rechtzeitig bemerkt hatte. Das Leben in L.A. hatte sie schon früh gelehrt, ihre Umgebung stets genau im Blick zu behalten. Diese verdammte Wasserstory nahm sie völlig in Anspruch und wirkte sich inzwischen sogar auf ihre Wachsamkeit aus. Cohen hatte versprochen, dass es nur noch wenige Tage bis zur Veröffentlichung dauern würde. Je eher, desto besser. Es machte sie ganz krank, ständig die Disketten mit nach Hause zu nehmen. Cohen war total paranoid, wenn es darum ging, die Daten in der Redaktion zu lassen. Jeden Abend überspielte er sämtliche Dateien auf Sicherungsdisketten und löschte die ursprünglichen Unterlagen von der Festplatte. Morgens kam dann die umgekehrte Prozedur an die Reihe.
Eigentlich konnte Sandy ihm deswegen nicht mal einen Vorwurf machen. Diese Story stellte tatsächlich etwas ganz Besonderes dar, und im Team war sogar schon vom Pulitzerpreis die Rede. Insgesamt koordinierte Cohen die Arbeit von drei Reportern. Sandy war für die Mulholland Group und deren geheimnisvolle Generaldirektorin Brynhild Sigurd zuständig. Die anderen beiden Kollegen konzentrierten sich auf einheimische beziehungsweise ausländische Firmenbeteiligungen. Ferner arbeiteten sie mit einem Wirtschaftsprüfer und einem Anwalt zusammen.
Die Geheimhaltung war größer als damals beim Manhattan-Projekt, der Entwicklung der ersten Atombombe. Der Chefredakteur wusste zwar prinzipiell über die Recherchen Bescheid, doch vom genauen Umfang der Erkenntnisse hatte er keine Ahnung. Sie seufzte. Noch ein paar Tage bis zum Erscheinen der Artikelserie, dann könnte sie endlich ihren langen Urlaub auf Maui antreten.
Sie fuhr aus der Garage und machte sich auf den Weg zu ihrer Eigentumswohnung in Culver City. Unterwegs hielt sie an einem Einkaufszentrum und kaufte eine Flasche kalifornischen Rotwein. Cohen wollte nachher noch vorbeikommen und letzte Einzelheiten mit ihr besprechen, und sie hatte zugesagt, einen Topf Nudeln zu kochen. Als sie bezahlte, fiel ihr jemand vor dem Geschäft auf, der durch das Schaufenster hineinsah. Es war dieser verdammte Mistkerl mit dem Stahlgebiss, und er lächelte.
Das konnte kein Zufall sein. Der Typ musste sie verfolgt haben.
Als sie den Laden verließ, starrte sie ihn wütend an und ging dann direkt zu ihrem Wagen. Dort kramte sie zunächst die Pistole aus ihrer Handtasche hervor und steckte sie sich in den Gürtel. Dann nahm sie ihr Mobiltelefon und rief Cohen an. Er hatte sie angewiesen, jeden außergewöhnlichen Vorfall zu melden.
Sie erreichte ihn nicht direkt und hinterließ in seiner Mailbox, dass sie sich gegenwärtig auf dem Heimweg befände und glaube, von jemandem verfolgt zu werden.
Sie ließ den Motor an, rollte langsam vom Parkplatz, trat dann das Gaspedal durch und raste im selben Moment über eine Kreuzung, in dem die Ampel auf Rot umsprang. Alle Wagen hinter ihr blieben stehen. Sandy kannte die Gegend sehr gut und fuhr quer über eine Reihe von Motelparkplätzen und später durch einige Seitenstraßen in großem Bogen zu ihrem Apartment. Anfangs schlug das Herz ihr bis zum Hals, aber als sie schließlich vor ihrem sicheren Heim anhielt, hatte ihr Puls sich
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