Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
tauchte sicherlich Mouna auf. Irgendetwas gab es immer zu besprechen.
Diese Opposition in Damaskus setzt auch noch 2013 auf einen Wandel ohne ausländische Intervention, ohne Sanktionen und ohne Waffenlieferungen. Das Assad-Regime verurteilen sie als nicht reformierbar, das Menschenrechtsverletzungen nicht beendet hatte trotz aller Reformversprechen nach Ausbruch der Proteste. Im Gegenteil: Es habe willkürliche Verhaftungen sogar ausgeweitet, schrieb Louay in einem Buchartikel. Die politischen Reformen seien 2011 viel zu spät gekommen und ohnehin »eher formaler Natur gewesen und hätten nicht den Kern des Konflikts berührt«.
Diese interne Opposition hoffte 2013 immer noch, dass die beiden Großmächte, USA und Russland, auf ihren jeweiligen Syrienverbündeten einwirken, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Allerdings, Annan war auch noch ein Hoffnungsträger für sie. Brahimi, seit September 2012 Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, ist es kaum noch, vielleicht eine allerletzte Hoffnung. Und fragte man sie: »Ist das alles nicht ein Traum? Jetzt noch friedlicher Wandel? Wie soll das möglich sein?« Dann antworten die Jungen:
»Wir müssen träumen, sonst zerstören wir unser Land.« Und die Alten wie Abdul Aziz al-Khair oder Louay Hussein sagen:
»Wir haben einen schlimmen Albtraum hinter uns, aber mit dem Bürgerkrieg haben wir einen noch viel schlimmeren vor uns.«
Das war im Sommer 2012, ein Jahr später ist der Albtraum endgültig da.
Louay Hussein widerlegt das lange verbreitete Vorurteil, die Opposition bestünde nur aus Sunniten. Louay ist Alawit, gehört damit der Religionsgemeinschaft des Assad-Clans an. Auch andere wichtige Oppositionelle wie der Wirtschaftswissenschaftler Aref Dalila sind Alawiten, Abdul Aziz al-Khair ebenfalls. Von ihm habe ich im Herbst 2012 das letzte Mal gehört. Damals war er von einer Reise nach China zurückgekommen. Auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt von Damaskus ist er verschwunden – entführt, wie es hieß. Das Regime gibt Oppositionellen die Schuld, die wiederum dem Regime. Wer auch immer verantwortlich ist, al-Khair bleibt verschwunden. Die interne Opposition hat mit ihm einen ihrer wichtigsten Köpfe verloren. Die Aufständischen sehen in ihm noch immer einen Verräter.
ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013
Die Augen unruhig und ängstlich. Den Kopf eingezogen, den Oberkörper gebeugt, so als suchten sie Deckung. Die Tasche fest an sich gepresst. So hetzen die Menschen durch Aleppo. Nicht anhalten. Möglichst schnell wieder nach Hause. Dort ist es zwar auch nicht sicher, Granaten und Raketen können schließlich überall einschlagen. Dort aber sind die Kinder.
Die Front ist nie weit entfernt, manchmal nur 200 Meter. Umgestürzte Busse versperren Einfahrten zu Straßen, die in die Kampfzonen führen. Die Busse sind als Barrikaden gedacht und sollen Passanten vor gegnerischen Scharfschützen sichern, die Einblick in die Straße haben. Der Alltagsverkehr rollt wie teilnahmslos an diesen Bollwerken vorbei. Fußgänger hasten über derartig geschützte Kreuzungen. Sie wissen, hinter der Deckung lauert der Tod auf seine Chance. Andere Straßen sind durch hohe Erdwälle gegen den feindlichen Teil der Stadt abgeschirmt. Doch jeder weiß auch, nicht immer verhindern solche Sichtsperren den Blick der Schützen durch ihre Spezialvisiere. Heckenschützen sind findig und versuchen jeden noch so kleinen Durchblick zu nutzen. Auf zwei Kilometer können sie ihr Ziel treffen. Und ihnen ist es egal, wen sie töten oder verletzen: Kinder, Frauen, alte Männer oder einfach auf einen vorbeifahrenden Kleinbus schießen, egal wer drin sitzt, Hauptsache getroffen und jemanden verletzt oder gar getötet. Schließlich ist für sie jeder ein Feind, der auf der Rebellenseite lebt. Angeblich zahlt die Armee Assads Abschussprämien. Auf der anderen Seite leben die Menschen in der gleichen Angst. Auch die Einheiten der Rebellen haben ihre Scharfschützen, die genauso erbarmungslos ihr Handwerk ausüben. Sie behaupten zwar: »Wir schießen nur auf Soldaten.« Doch gefragt: »Könnt ihr tatsächlich durch euer Zielfernrohr mit dem Fadenkreuz immer zwischen Zivilist und Soldat unterscheiden?« müssen sie den Kopf schütteln.
Aleppo ist also eine Stadt, in der die Menschen in ständiger Angst leben. Aleppo, einst eine arabische Traumstadt, heute ein Albtraum für die Bewohner.
Granatexplosionen gehören inzwischen zur alltäglichen
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