Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
Recht gesprochen wird nach Gutdünken und nicht nach einem Gesetzbuch, gesteht der oberste Laienrichter, Mohamed Said:
»Gesetze haben wir keine, wir folgen der Moral unserer Bewegung. Wir sind die Regierung hier. Aber wirklich helfen können wir den Menschen nur selten«, schränkt er freimütig ein und zuckt mit den Achseln.
Fahrt an die syrisch-türkische Grenze. Immer wieder werden wir von Milizen der PYD angehalten und kontrolliert. Diese Bruderpartei der PKK hat in ihrem Gebiet ein engmaschiges Netz von Kontrollposten und Patrouillen eingerichtet. Die jungen PYD-Kämpfer gelten als gut trainiert und diszipliniert. Misstrauisch wirken sie und nervös, als sie unseren Kofferraum durchsuchen. Offensichtlich rechnen sie mit Angriffen und Anschlägen.
»Die Türkei hetzt die arabischen Rebellen gegen uns auf«, erklärt uns unser Begleiter.
Dass die PYD-Kurden die Türken provozieren, wo immer es geht, führen sie uns stolz in der Provinzhauptstadt Qamishli vor. Direkt an der Grenze haben sie an besonders hohen Masten ihre grün-rot-gelben Fahnen gehisst. Auf der anderen Seite soll schon weitem erkannt werden, wer hier das Sagen hat. Für die Türkei jenseits der Grenze natürlich fast eine Kriegserklärung, droht doch hier ein PKK-Staat zu entstehen. In ihren Augen also ein Staat von Terroristen, der die Türkei bedroht.
Sicher ist, es entsteht hier ein Staatsgebilde, in dem Jugendliche in parteieigenen Jugendhäusern auf Kampf eingeschworen werden. Märtyrer schmücken die Wände des Hauses, das wir besuchen können. Und natürlich wieder Öcalan – das große Idol. Wir treffen die PYD-Jugend am Abend. Die Hitze hat etwas nachgelassen. Jungen wie Mädchen sitzen zusammen unter dem Vordach des Hauses. Die Mädchen ohne Kopftuch. Islam spielt bei der PYD keine entscheidende Rolle. Von ihnen wollen wir wissen, was sie von den sunnitischen Rebellen halten, von dem Bürgerkrieg im arabischen Teil des Landes. Unter ihnen auch der jüngste Sohn von Vater Deham Ali, unserem Gastgeber. Ist der Kampf der arabischen Syrer auch ihr Kampf? Jungen wie Mädchen haben eine klare Meinung, die Meinung der Partei:
»Wenn Assad stürzt, nützt uns das überhaupt nichts. Wir haben mit den Rebellen nichts zu tun. Wir wollen unsere Autonomie. Notfalls müssen wir dafür kämpfen, auch gegen sie«, sagt zum Beispiel Sohn Judi Deham Ali.
»Genauso ist es. Wir wollen unsere Autonomie, die uns auch die Rebellen nicht geben wollen. Wir müssen auf alle Fälle gegen Damaskus weiterkämpfen«, bestätigt eines der Mädchen:
»Wir werden ein Großkurdistan haben, dafür kämpfen wir schon lange. Unsere Verteidigungsstreitkräfte sind gut gerüstet.«
Zu sehen bekommen wir die nicht. Möglicherweise wird dieser militärische Arm der PYD sogar von Assad aufgerüstet, ist die Waffenbrüderschaft zwischen PYD und PKK doch gegen die Türkei gerichtet. Auf einen Krieg gegen die von der Türkei unterstützten Rebellen wurden die Jugendlichen schon damals eingeschworen.
Ein dreiviertel Jahr später hat dieser Krieg im syrischen Bürgerkrieg tatsächlich begonnen. Immer häufiger kommt es 2013 zu Zusammenstößen zwischen der Miliz der PYD und radikalen Kämpfern islamistischer Brigaden wie der Al-Nusra-Front. Mehrere Tage lag im Juli 2013 die Grenzstadt Ras al Ayn im Dauerfeuer der Milizen. Mal wieder. Im Februar hatten PYD und arabische Aufständische schon einmal erbittert um diesen Grenzort gekämpft, bis es dem Oppositionellen Michel Kilo gelungen war, einen Waffenstillstand zu vermitteln. Einen offensichtlich zu brüchigen. Am 18. Juli war es soweit. Kurdische Kämpfer der PYD eroberten die mehrheitlich von Kurden bewohnte Stadt und vertrieben die islamistischen Rebellen der Al-Nusra-Front, die den Grenzort seit November 2012 besetzt hatten. Dieser Grenzübergang war wichtig für den Nachschub der Aufständischen in den Norden Syriens. Der Türkei wirft die PYD vor, die Al-Qaida-Milizen mit Waffen und mit militärischer Aufklärung versorgt zu haben. Türkische Drohnen, so berichten auch unabhängige Beobachter, würden immer wieder über diesem Öcalanland kreisen und jede militärische Bewegung genau registrieren. Die Türkei wie auch die arabischen Aufständischen beschuldigen die PYD-Kurden, sie hätten letztendlich die Aufständischen an Assad verraten und würden in ihrem Gebiet sein Geschäft besorgen, schließlich schnitt die PYD-Miliz die Rebellen von einem ihrer Nachschubwege ab.
Dass Tayyib und Baschar nach diesen
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