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Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Titel: Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Armbruster
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nicht gefragt, ob Kurden, Schiiten und Sunniten tatsächlich einen gemeinsamen Staat bilden können, ob es nicht sinnvoller wäre, Stammesgrenzen und Siedlungsgebiete der Menschen zu berücksichtigen. Nicht nur der Irak leidet jedenfalls heute noch unter dieser Arroganz der britischen Kolonialbürokratie.
    Dieses Sykes-Picot-Abkommen war die Grundlage für die postkoloniale Ordnung im Nahen Osten, die bis in die Gegenwart gehalten hat. Mehr schlecht als recht; denn keines dieser arabischen Länder, die die beiden Kolonialmächte spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen mussten, entwickelte sich zu einer Demokratie, in keinem der Länder hatte die Bevölkerung jemals so etwas wie ein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer Zukunft. Alle – vom Libanon vielleicht einmal abgesehen – wurden von Diktatoren beherrscht, oft mit roher Gewalt, weil sie so mit Macht zusammenhielten, was nicht unbedingt zusammengehörte. Häufig gehörten diese Despoten zu eben jenen Religionsgruppen oder Ethnien, mit deren Hilfe die Kolonialmächte geherrscht hatten und die sich auch später als die neuen Machthaber durchsetzten.
    Die arabischen Beduinenfürsten hatten im Ersten Weltkrieg durch einen Zufall von diesem eigentlich geheimen Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien Wind bekommen. Dem russischen Zaren lag das Abkommen vor. Er sollte eingebunden werden, da man seine Zustimmung für die Neuordnung in seinem Vorgarten brauchte. Als jedoch die Bolschewiken nach der Oktoberrevolution eine Kopie des Abkommens fanden, veröffentlichten sie diesen »Verrat an den arabischen Völkern«.
    Und noch einen Verrat hatten die Briten in den Augen der Araber begangen. Der britische Außenminister Lord Balfour hatte am 2. November 1917 den Führern der ›Zionistischen Weltorganisation‹ das Recht zugesagt, in Palästina »eine Heimstatt für das jüdische Volk zu errichten«, in einem Land also, das eigentlich Arabern gehörte und von Arabern besiedelt war. Damit hatte er den Grundstein für den heute noch andauernden Palästinakonflikt zwischen Israel und den Arabern gelegt.
    Mit anderen Worten: Die vielen Konflikte, die heute noch im Nahen Osten häufig blutig ausgetragen werden, haben ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg. Lawrences alte Männer haben damals also ein Erdbeben ausgelöst, dessen Erschütterungen heute noch zu spüren sind.
    Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Versuche gegeben, diese aufgezwungene Nachkriegsordnung von Sykes-Picot abzuschütteln. Beispielsweise die Aufstände der Iraker gegen die Briten und den von ihnen eingesetzten irakfremden König, der dem aus dem saudischen Mekka und Medina entstammenden Clan der Haschemiten angehörte. Schon kurz nach der Ernennung Feisal I. am 23. August 1921 begann sich die Bevölkerung gegen diesen ihnen fremden Staat zu erheben. Mit Söldnertruppen und eigenen Soldaten mussten die Briten die Rebellion blutig niederschlagen. Sogar Chemiewaffen setzten sie gegen die schlecht gerüsteten Freischärlerverbände der Iraker ein. Die britische Luftwaffe warf mit Giftgas gefüllte Kanister über Dörfern ab, in denen sie Aufständische vermutete. Ein halbes Jahrhundert vor dem Chemiewaffenangriff Saddam Husseins gegen das kurdische Städtchen Halabscha setzten die Briten also selbst Chemiewaffen im Irak ein.
Syrien – teile und herrsche
    Auch die Syrer leisteten Widerstand gegen die französischen Besatzer, die allerdings zunächst einen anderen Weg gingen. Sie entschieden sich für das Prinzip ›teile und herrsche‹. Sie formten Kleinstaaten aus ihrem Mandatsgebiet, an deren Spitze aber französische Verwaltungsbeamte standen. Unter anderem einen eigenen Staat für die Alawiten mit eigener Fahne und klaren Grenzen, über die Politik entschied aber ein französischer Gouverneur. Sie hofften, diese Minderheit für die eigene Kolonialherrschaft einspannen zu können, da sich die sunnitische Mehrheit weitestgehend einer Zusammenarbeit verweigerte. Das mag auch ein Grund gewesen sein, warum die Franzosen nach vier Jahren schon alle Teilstaaten wieder auflösten und zu einer großen französischen Verwaltungseinheit zusammenfassten. Nur der Alawitenstaat blieb.
    Dieses sicher nicht sehr lebenstüchtige Gebilde am Mittelmeer hatte der religiösen Minderheit der Alawiten immerhin einen begrenzten Schutz vor Verfolgung durch die sunnitische Mehrheit gegeben. Außerdem boten die Franzosen den Alawiten Aufstiegschancen in der Armee. Allerdings mussten

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