Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
erfolgreiche Demokratisierung der Bundesrepublik ist unter anderem der Stabilität zu verdanken, die der Marschallplan möglich gemacht hatte. Schließlich gilt auch im Nahen Osten die Regel: »Wer zahlt, schafft an«. Wenn der Westen sich finanziell nicht engagiert, werden Geldgeber wie Katar und Saudi Arabien einspringen und mit ihrem Geld sehr schnell jede echte Demokratisierung des Landes ersticken. Nichts Schlimmeres für diese autoritär regierten Systeme als in der Nachbarschaft einen Staat zu haben, der seinen Mitbürgern Mitsprache erlaubt. Er könnte ja zum Vorbild für die eigenen Untertanen werden.
Die Verhandlungen müssen aber über Syrien hinausgehen. Das Verhältnis der sunnitischen Golfstaaten und des Iran ist eines der Spannungsfelder, die entschärft werden müssen. Genauso wie die zwischen dem beinharten Israel und der ideologieverblendeten Hisbollah.
Ob dieses Gedankenspiel in der politischen Wirklichkeit des Nahen Ostens funktionieren kann? Ich habe selbst große Zweifel. Eine Utopie vielleicht, vielleicht auch politische Träumerei oder Spinnerei. Solche Vorwürfe sind mir sicher: Traumtänzer, Wolkenschieber, politischer Fantast.
Was aber ist die Alternative? Die heißt ganz einfach: Der Krieg geht weiter. Die Zerstörung einer der ältesten Kulturen im Nahen Osten geht weiter. Kulturen, die den Besucher verzaubern und kaum mehr loslassen. Aleppo vor dem Krieg – eine Stadt religiöser Toleranz und ethnischer Vielfalt, eine weltoffene Stadt der Händler, über die Seidenstraße jahrhundertelang sogar mit China verbunden.
Und heute? Die Stadt wird nie wieder so sein wie vor dem Krieg. Suq und Omayyadenmoschee sind schwer beschädigt, vielleicht sogar zerstört, ebenso einige der bis zu tausend Jahre alten Hammam, also Badehäuser. Der Altstadt Damaskus droht ein ähnliches Schicksal. In den römischen Tempelanlagen von Palmyra sollen Panzer herumkurven. Die Kreuzritterburg Crac des Chevaliers wird immer dann mit Artillerie beschossen, wenn sich hinter ihren dicken Mauern Aufständische verbergen. Die wuchtige Festungsanlage aus dem 12. Jahrhundert, die zum Weltkulturerbe gehört, soll inzwischen schwer beschädigt sein, schreiben Reporter. Den vielen ausländischen Djihadisten ist die alte syrische Kultur gleichgültig, möglicherweise halten sie archäologische Funde aus der vorislamischen Zeit für unislamisch und zerstören sie in ihrem religiösen Wahn. Syrien ist voll von solchen Kunstschätzen und immer voller von solchen militanten Wahnsinnigen.
Und die Menschen? Wie sollen sie in ein paar Jahren noch zusammenleben können, wenn dieser Krieg so weitergeht? Hass frisst sich immer tiefer in sie hinein. Misstrauen setzt sich fest. Unversöhnlichkeit, Kompromisslosigkeit, Todfeindschaft. Auf beiden Seiten wird die Angst der Minderheiten vor der Mehrheit geschürt. Mit Erfolg.
Kommt es nicht zu einem Waffenstillstand mit anschließenden Verhandlungen, dann ist der Preis hoch, den der Westen in ein paar Jahren zahlen muss. Die Gefahr ist groß, dass Syriens Assad, die iranischen Mullahs und Nasrallahs Hisbollah sich im Süden des Landes festsetzen, unterstützt von Russland, das seinen Militärhafen in Tartus behalten will. Einen solchen schiitischen vom Iran gesteuerten Block werden die Nachbarländer Syriens wahrscheinlich als ständige Bedrohung ansehen, besonders Irans Erzfeind Israel. Obendrein wird ein solcher Block, zu dem auch der Irak gerechnet werden muss, die Machtbalance am Persischen Golf zu Ungunsten der sunnitischen Monarchien verschieben. Zu allem Unglück verfügt er zur Zeit auch noch über Chemiewaffen. Nicht auszuschließen, dass er eines Tages sogar Atomraketen in seinen Waffenkammern deponiert. Das zumindest ist die Furcht des Westens.
Eine solche Konzentration von Macht, Miliz und Militär vor der Haustür Israels und anderer verbündeter Staaten wird der Westen nicht hinnehmen, fast zwangsläufig muss er im Falle eines Falles militärisch eingreifen. Ob sich Assads Freund Russland aus einem solchen Konflikt heraushalten wird, ist mehr als fraglich.
Allein ein solches Szenario sollte Grund genug sein für einen Waffenstillstand und für Verhandlungen. Die Übereinkunft zwischen den USA und Russland über die Vernichtung der syrischen C-Waffen, die sie nach drei Tagen Verhandlungen am 14. September in Genf erreicht haben, gibt Anlass zu Hoffnung, dass die beiden Großmächte vielleicht doch noch gemeinsam an einer Lösung des Syrienkonflikts arbeiten werden.
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