Brennpunkt Nahost
Kamera aussteigen.
»Seit fünf Tagen haben wir kein Wasser mehr«, klagen sie in unsere Kamera. Alle stehen um Wasser an. Über eine breite Straße schiebt sich die Schlange langsam in Richtung einer Moschee. Sie hat den einzigen noch funktionierenden Wasserhahn in diesem Vorort von Aleppo, einen einzigen mit schwachem Strahl für tausende Menschen. Viele der Wartenden sind Kinder mit übergroßen Eimern und Töpfen, die sie, haben sie endlich die Wasserstelle erreicht, randvoll gefüllt kaum nach Hause schleppen können, so schwer sind ihre Gefäße. Von revolutionärer Stimmung ist hier nichts zu spüren.
»Die sollen mit dem Krieg aufhören«, hören wir immer wieder, aber auch: »Assad ist ein Verbrecher, der sein eigenes Volk ins Unglück stürzt!«
Lobeshymnen auf die kämpfenden Rebellen hören wir aber auch so gut wie nie. Niemand kann im Augenblick wirklich sagen, wie viele Syrer noch Assad unterstützen, wie viele die Rebellen, vor allem welche der verschiedenen Oppositionsbrigaden. Allein in Aleppo sollen es an die zweihundert sein. Deren Spektrum reicht von Säkularen bis hin zu beinharten Djihadisten. Angesichts der Zerstörungen spielt die Frage nach der Ideologie eine immer geringere Rolle bei den Menschen. Sie nehmen Hilfe von jedem, egal ob das Geld aus Katar kommt oder aus dem Westen. Allerdings lassen sich nur wenige Hilfsorganisationen aus Europa in dem Kampfgebiet blicken, aus gutem Grund. Nicht nur Reporter, die aus dem Norden Syriens berichten, leben gefährlich, das Risiko ist für jeden gleich, der sich längere Zeit dort aufhält.
In den Fassaden einiger Häuser der Plattenbausiedlung klaffen von Granaten aufgerissene Löcher, manche so groß, dass die halbe Zimmereinrichtung zu sehen ist. Der Kampf um Aleppo hatte im Sommer 2012 in den Außenbezirken der Stadt begonnen, so wie die ganze Revolution im Frühjahr 2011 an den Rändern kleinerer Städte und Dörfer ausgebrochen war, dort wo die benachteiligten Menschen leben, die Verlierer, die vom Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre nichts abbekommen haben, denen die jahrelange Dürre besonders zugesetzt hatte. Deraa. Homs. Hama. Idlib. Schließlich Azaz oder Tel Rifa’at.
Aleppo
■ Mit 2 500 000 Einwohnern (vor Beginn des Krieges) ist Aleppo größte Stadt Syriens (Damaskus und Aleppo streiten sich um diesen Rang)
■ Hauptexportgüter heute: Agrarprodukte der Umgebung wie Weizen, Oliven, Baumwolle, Pistazien
■ Wichtiger Industriestandort: Chemie, Pharmazie, Textilien
■ Außerdem hat der Tourismus im Wirtschaftsleben der Stadt eine wichtige Rolle gespielt.
■ 1986 erklärte die UNESCO Aleppos Altstadt mit ihren mehrere hundert Jahre alten Häusern und Hamams (Badehäuser) zum Weltkulturerbe. Seit 1993 wurde sie in Zusammenarbeit mit der GTZ und mit Unterstützung vom Aga-Khan-Trust for Culture und dem Arab Fund for Economic and Social Development renoviert.
■ Aleppo hat den längsten und sicherlich schönsten Basar der arabischen Welt.
■ Aleppo liegt am Knotenpunkt wichtiger Handelsstraßen, zum Beispiel der Seidenstraße, und wurde so selbst schon im Mittelalter zu einer wichtigen Handelsstadt.
■ Am Ende des 19. Jahrhunderts vor Christus taucht Aleppo erstmals in den Quellen auf. Zu dieser Zeit war es die Hauptstadt des Staates Jamchad, der von hier an bis in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts vor Christus Nordsyrien dominierte.
■ Die Stadt wurde nach Christus unter ihrem alten Namen Teil des Byzantinischen Reiches.
■ Die Stadt wurde 1098 und 1124/25 von Kreuzfahrern belagert, aber nicht erobert.
■ 1517 wurde Aleppo Teil des Osmanischen Reiches.
■ Während des Ersten Weltkrieges war Aleppo ein Zentrum des Völkermords an den Armeniern durch die Jungtürken.
■ Nach dem Zweiten Weltkrieg: Aleppos Altstadt (Medina) befindet sich innerhalb einer fünf Kilometer langen Stadtmauer mit sieben Toren und hat eine Ausdehnung von etwa 350 Hektar. Um die Altstadt herum wurden neue Stadtteile gebaut für die Angestellten und Arbeiter der angesiedelten Industrieunternehmen. Die Altstadt drohte Opfer dieser Stadtentwicklung zu werden. Es waren Straßen quer durch die Stadt geplant, außerdem Teilabrisse. Es ist unter anderem der GTZ zu verdanken, dass sie gerettet und renoviert wurde.
■ Seit Juli 2012 kommt es in und um Aleppo zu heftigen Kämpfen, bei denen auch Kampfflugzeuge und Hubschrauber eingesetzt werden. Im Großraum Aleppo sollen Assads Truppen in kleinem Umfang Chemiewaffen eingesetzt haben.
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