Brennpunkt Nahost
Scud-Mittelstreckenraketen bereit. Chemiewaffen werden auch von Artillerie und Flugzeugen verschossen. Das tödliche Gas wird beim Aufschlag oder durch gezielte Explosion freigesetzt.
Der mögliche Einsatz der gefürchteten Waffen durch Syriens Armee sei »sehr beängstigend« warnt auch Ahmet Üzümcü, der Generaldirektor der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW). Die OPCW in Den Haag überwacht die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention, die am 3. September 1997. Das Abkommen verbietet die Entwicklung, die Produktion, die Lagerung, die Weitergabe und den Einsatz chemischer Waffen.
188 Vertragsstaaten traten der Konvention bei. Syrien gehört nicht dazu, ebensowenig Ägypten und der Iran. Dennoch stellt OPCW-Chef Üzümcü klar: »Syrien ist Vertragsstaat des Genfer Protokolls von 1925, das den Einsatz chemischer und biologischer Waffen verbietet. Das Assad-Regime dürfe also unter keinen Umständen auf die gefürchteten Waffen zurückgreifen.«
epd-Service 30.8.2012
Wir sind mit Oberst Abdul Jabara Aqaidi verabredet, dem Chef des nördlichen Militärrats, also verantwortlich für die Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo. Anfang 2012 hatte er die Seite gewechselt und kommandiert jetzt, so behauptet er, die Kämpfer im Norden Syrien. Wie viele es sind, will er uns nicht verraten. Nur so viel: insgesamt 40 000 Bewaffnete stünden im Sold der FSA in ganz Syrien. Im Vorraum zu seinem Büro lungern ein paar Wächter mit ihren Kalaschnikows herum, der eine putzt seine Waffe, andere spielen Karten, alle rauchen und trinken Tee. An der Wand ein großer Monitor, auf den Überwachungskameras ihre Bilder senden: leere Straßen, der Eingang zum Haus ohne Wachposten, auch auf dem Platz vor der Kommandantur kein Mensch unterwegs. Schließlich ist es Freitagvormittag, und da schläft man gerne etwas länger, auch mitten im Krieg. Die Wachen scheinen sich sicher zu fühlen. Auch wir werden kaum kontrolliert, obwohl dieses Haus ein hochsensibler Ort der Freien Syrischen Armee ist. Hier laufen die Kommandofäden zusammen. Hier fallen Entscheidungen, ob und wo angegriffen wird. Hier sollte das Gehirn der FSA in Aleppo sein.
Als der Oberst mit einer halben Stunde Verspätung endlich kommt, bringt er beunruhigende Nachrichten mit:
»Es sind feindliche Kampfflugzeuge in der Luft.«
Dann bittet er uns in seinen großen Arbeitsraum mit wuchtigem Schreibtisch, mit an der Wand aufgestellten Stühlen und einer Projektionsleinwand. Der Oberst ist ein einsamer Mann an diesem Tag. Keine erschöpften Melder mit guten oder schlechten Nachrichten von der Front, keine aufgeregten Offiziere bei der Analyse der militärischen Lage, keine geräuschlosen Ordonanzen mit zuckersüßem Tee. Der Oberst ist allein in einem großen Haus, das jederzeit aus der Luft bombardiert werden kann. Und hier soll der Sieg der Freien Syrischen Armee vorbereitet werden?
Aqaidi mehr zynisch als verzweifelt: »Natürlich werden wir gewinnen.«
»Nur wann und wie?«
»Keine Ahnung. Daran ist der Westen Schuld. Ihr lasst uns im Stich. Keine Waffen, keine Ausrüstung. Ihr lasst uns verbluten.«
Das ist die Kernbotschaft dieses Gesprächs mit dem FSAOberst: Der Westen schickt keine Waffen, er lässt uns im Stich, deswegen stürben so viele Aufständische und auch deswegen radikalisierten sie sich. Tatsächlich laufen immer mehr seiner Soldaten zu Djihadistenbrigaden über. Dort verdienen sie mehr, dort bekommen sie die besseren Waffen, außerdem bietet ihnen Religion ein einfaches aber konkretes Weltbild vom Gottesstaat und nicht abstrakte Vorstellungen von Demokratie. Wer im Heiligen Krieg stirbt, wird als Märtyrer verehrt und kommt ins Paradies mit allen Vorzügen. Die Enttäuschung über die Untätigkeit des Westens steht dem Oberst ins Gesicht geschrieben. Fast trotzig erklärt er, seine Freie Syrische Armee arbeite eng mit der Al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front zusammen:
»Das sind unsere Partner. Wir sehen sie anders als ihr im Westen. Für uns sind sie keine Terroristen! Auch sie wollen schließlich Assad besiegen.«
Wie aber will er den Westen überzeugen, dass diese Waffen nicht bei diesen fragwürdigen Partnern landen, schließlich haben die USA diese Gruppen als Terroristen eingestuft, oder bei gar anderen Djihadistengruppen, die vielleicht noch gefährlicher sind?
»Das garantiere ich«, ruft der Oberst, »das unterschreibe ich! Ich habe das versprochen, bei meinem Ehrenwort, aber es gab bisher keine Reaktion.«
Der Oberst ist so
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