Brennpunkt Nahost
hierher. Nun, seit Ausbruch der Krieges, ist es ein Ort der Angst. Angst bei den christlichen Dorfbewohnern, Angst bei den Nonnen, Angst bei den Waisenkindern, die sie betreuen. Wir treffen die Mädchen während eines Gottesdienstes, sie sind gekleidet in steif gebügelte Schuluniformen, streng bewacht von der Äbtissin, die, kaum ist die Andacht vorbei, mit einer knappen Geste ihre Schützlinge in ihre Unterkunft schickt. Sprechen dürfen wir mit den Mädchen nicht. Auskunft geben übernimmt Äbtissin Pelajia Sajaf selbst.
Diese permanente Angst – davon spricht sie als erstes, als wir mit ihr in einem Aufenthaltsraum alleine sind. Die Wände sind mit großen Porträts griechisch-orthodoxer Patriarchen geschmückt. Sie schauen alle würdevoll und streng auf uns herab. Neben dieser Galerie der Kirchenobersten hängt als größte Fotografie das Porträt des Präsidenten. Mit den Assads, also auch mit dem Vater, hätten sich alle Patriarchen immer gut verstanden, erzählt uns die Äbtissin stolz, als sie uns jedes Porträt einzeln erklärt. Geradezu in Verzücken gerät sie beim Anblick des Bildes von Bashar al-Assad:
»Er ist ein Arzt. Er will niemanden töten. Er ist ein ganz besonderer Mensch«. Die Augen der im Kloster alt gewordenen Frau leuchten wie die junger Mädchen beim Anblick ihres Popidols.
Um ihre Leidenschaft für ihn zu beweisen führt sie uns zu einer weiteren gerahmten Fotografie. Sie zeigt, wie der Präsident und seine Gattin zusammen mit den Waisenkindern des Klosters essen. Aufgenommen Ostern 2012. Völlig aus dem Häuschen flüstert die Äbtissin, als könne sie es immer noch nicht glauben:
»Sie haben uns besucht und mit uns gegessen«.
Ein Propagandatrick, um sich der Loyalität der Christen zu versichern? Wie erklärt sie sich den Krieg in Syrien, der ihr, ihren Nonnen und den Waisenkindern so viel Angst macht:
»Es ist das Geld, das Ölgeld. Katar und Saudi Arabien stecken dahinter, die sind die Bösen, wer sonst noch, weiß ich nicht.
Wir haben Angst vor der Zukunft. Wenn es so weitergeht, dann habe ich Angst um uns Christen. Al-Qaida und die Muslimbrüder, das sind unsere Feinde.«
Genauso verkündet es auch die syrische Propaganda. Und die Djihadisten gießen regelmäßig Öl in dieses religiöse Feuer und heizen den Hass zwischen den Konfessionen an.
Ein Jahr nach diesem Besuch werden die schlimmsten Befürchtungen der Äbtissin wahr. Schwer bewaffnete Kämpfer der Al-Qaida nahen Al Nusra-Front rückten in das Dorf ein, besetzten die Klöster und postierten Scharfschützen auf Kirchtürmen. Von den Kuppeln einiger Klöster Maalulas rissen sie die Kreuze.
»Das ist eine Kriegserklärung«, kommentiert ein Priester, der aus dem umkämpften Dorf fliehen konnte zusammen mit den 300 Dorfbewohnern. Mit Internetvideos versuchen die Aufständischen zu beweisen, dass sie die Religion achten. Auf einem ist ein Kommandant zu sehen, der seine Kämpfer anweist, die christlichen Bewohner nicht zu behelligen. Im Nonnenkloster Mar Tekla habe es nur zerbrochene Fensterscheiben gegeben, meldet Mutter Pelagia in einem Telefongespräch mit einem Zeitungsreporter:
»Unter den Kämpfern sind Muslime, die mit saudischem Akzent sprechen, andere verstehen überhaupt kein arabisch.« Und dann fügt sie resigniert hinzu:
»Wenn Maalula überlebt, dann nur durch ein Wunder. Das Dorf ist leer, es gibt hier keine Bewohner mehr. Es ist eine Geisterstadt.« Eine fast 2 000 Jahre alte christliche Geschichte droht hier zu Ende zu gehen.
Der syrische Alleinherrscher müsste diesen Kampf um den kleinen Wallfahrtsort fast wie ein Geschenk des Himmels ansehen, kann er doch so dem christlichen Abendland das angeblich wahre Gesicht dieser »Terroristen« zeigen, wie er die Protestierenden von Anfang an beschimpft hatte. Seine Botschaft: Diese Islamisten bedrohen die christliche Minderheit Syriens, die er immer geachtet und beschützt habe. Tatsächlich war es den Aufständischen nie gelungen eine bedeutende Anzahl von Christen zu überzeugen und auf ihre Seiten zu ziehen. Viele christliche Würdenträger hatten sich ohnehin von Anfang an auf Assads Seite geschlagen.
Zum Beispiel der Patriarch der Maroniten im Libanon, Kardinal Béchara Pierre Raï. Er hatte am 10. Februar 2013 bei einem Besuch in Damaskus von der Kanzel der griechisch-orthodoxen Kirche ›Zum heiligen Kreuz‹ gewettert:
»Nichts rechtfertigt dieses Blutvergießen, alles was im Namen der sogenannten Reformen oder Menschenrechte gefordert wird,
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