Brennpunkt Nahost
ist es nicht wert, dass das Blut von Unschuldigen vergossen wird.«
Diese Strafpredigt, die die gesamte syrische Opposition verdammte, wurde im syrischen Staatsfernsehen live übertragen. Die Gewalt des syrischen Staats gegen die Demonstranten erwähnte der Kardinal allerdings mit keinem Wort. Schon früher hatte er vor den Folgen eines Sturzes des syrischen Präsidenten gewarnt. Die Muslimbrüder würden die Macht im Land übernehmen, das sei das Ende der Christenheit nicht nur in Syrien, sondern im ganzen Orient. Die Prophezeiung des Kirchenfürsten scheint sich immer mehr selbst zu erfüllen. Djihadisten sorgen inzwischen dafür, dass sich Assad am Ende bestätigt sieht.
Er ist nicht der einzige Kirchenführer, der sein Heil in der Nähe des Assad-Regimes sucht. Auf einer Tagung der evangelischen Akademie in Loccum in Niedersachsen hatte auch der Patriarch der mit Rom unierten melkitisch-katholischen Kirche, Erzbischof Gregorios III Laham, Alarm geschlagen:
»Die Christen haben vor der Regierung keine Angst, auch wenn sie natürlich die Macht der Geheimdienste kennen. Sie haben Angst vor der unklaren Zukunft. Die Gegner haben kein Gesicht, wir wissen nicht, wo die Kämpfe hinführen. Die Regierung kennen wir und wissen, wie wir mit ihr umgehen müssen.«
Von großer Angst in seiner kleinen armenischen Gemeinde sprach am Rande der Veranstaltung in der renommierten Akademie auch Bischof Armash Nalbandian: »Wir haben Angst, zwischen den Fronten zerrieben zu werden. Wir können nach zwei Jahren Krieg nicht das politische Ziel dieser sogenannten Opposition erkennen. Was für ein neues Syrien wollen sie? Welche Rolle sollen ihrer Vorstellung nach die Christen in diesem neuen Syrien spielen? Wir wissen es nicht.«
Ganz anders Michal Shammas, der für das Regime so unbequeme Menschenrechtler. In seiner Grußbotschaft an die Veranstalter gab er den Zweiflern unter den anwesenden Bischöfen eine Antwort auf deren Frage, was will eigentliche diese Opposition:
»Wir glauben an ein Syrien, in dem alle Gruppen Platz haben. Wir von der syrischen nationalen Opposition wollen ein pluralistisches Syrien ohne Einmischung von außen. Wir lehnen Konfessionalismus ab. Wir glauben an ein Syrien, das über die engen Gruppeninteressen hinausgeht.«
Wie sich allerdings seine Vorstellung von dem neuen demokratischen und liberalen Syrien mit dem Aufmarsch der Djihadisten vereinbaren lässt, konnte er auch nicht beantworten. Von der evangelischen Akademie war er zwar eingeladen worden und hatte auch zugesagt. Von Damaskus hatte er sogar eine Ausreiseerlaubnis bekommen. Er musste über Paris nach Deutschland einreisen. Die Deutsche Botschaft in Beirut stellte ihm aber kein Schengenvisum aus; er konnte daher nicht über Frankreich einreisen.
Wäre er gekommen, dann hätte er den versammelten Bischöfen möglicherweise die Leviten gelesen. In seinem Aufsatz beschreibt er eindringlich seine Enttäuschung über diese Kirchenfunktionäre. Sie hätten versagt, klagt er sie an. Sie hätten zwar ihre religiösen Pflichten erfüllt, mehr aber auch nicht:
»Ob freiwillig oder erzwungen – die Christen enthielten sich der Beteiligung an Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik. Stattdessen zogen sie sich auf sich selbst zurück und ergaben sich in ein Leben unter der Diktatur. Nur eine kleine Minderheit nahm es auf sich, sich der Willkürherrschaft zu widersetzen. Sie bezahlten dafür einen enorm hohen Preis.«
Michal Shammas weiß natürlich auch, dass sich nicht alle Christen der Opposition verweigert haben. Viele hatten sich in den letzten Jahrzehnten gegen Assad ausgesprochen, hatten protestiert und für mehr Demokratie demonstriert. Dafür mussten sie als politische Gefangene büßen und Folter und Gefängnis erleiden. Oppositionelle wie Michel Kilo gleich mehrmals, unter anderem, weil er 2005 in der sogenannten »Damaskus-Erklärung« friedliche und schrittweise Reformen in Syrien eingefordert hatte. Nichts anderes hatte sein Gegner Baschar al-Assad immer versprochen. Im Februar 2012 gründete Kilo zusammen mit anderen prominenten Dissidenten das ›Syrische Demokratische Forum‹, das sich für demokratischen Wandel ohne Intervention von außen einsetzt. Oder George Sabra, ein ehemaliger Kommunist, der heute Mitglied in der Führung der Exil-Opposition ›Syrische Nationalkoalition‹ ist. Oder Anwar al-Bounni, den ich in Damaskus als vom Regime gebrochenen Mann erlebt habe. Rund um die Uhr wird die Familie dieses mutigen
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