Brennpunkt Nahost
als Vorbild für die aufkeimenden Muslimbruderstaaten und den Westen zu empfehlen: »Ihr seht es an mir. Es kann gelingen, einen islamistisch ausgerichteten Staat demokratisch aufzubauen!« In einigen dieser Länder galt er schon bald als politische Lichtgestalt. Der Jubel der Ägypter in Kairo war fast grenzenlos, als er zum ersten Mal das neue Ägypten im September 2011 besuchte. Um aber von den Sunniten geliebt zu werden, musste er sich von dem Alawiten Assad lossagen und sich öffentlich zur Unterstützung der sunnitischen Rebellen bekennen.
Alawiten
Die Alawiten – eine religiöse Gruppierung des Nahen Ostens, die im späten 9. Jahrhundert im Irak entstanden ist und zum schiitischen Spektrum des Islam gezählt wird. Sie sind nicht zu verwechseln mit den türkischen und kurdischen Aleviten.
Hauptsiedlungsgebiert – türkische Provinz Hatay im Norden, weiter südwärts über das syrische Küstengebirge, den sogenannten Dschebel Ansariye und Latakia, bis in die Ebene von Akkar im Nordlibanon.
Die Alawiten (auch: Nusairier) sind eine Religionsgemeinschaft, die von sich behauptet, sie gehöre zum Islam. Sunnitische wie schiitiche Religionsgelehrte zweifeln das aber immer wieder an. Sie haben ihren Namen abgeleitet von Ali ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn Mohammeds.
Sie verehren Ali im Gegensatz zu den Schiiten als eine göttliche Erscheinung. Die Religionsgemeinschaft wurde 872 von Ibn Nusair begründet. Deswegen werden sie auch Nusairier genannt.
Unter anderem glauben Alawiten an die Seelenwanderung. Die Seelen von Ungläubigen wandern in Tierleiber, die der Gläubigen werden zu Lichtgestalten.
Der Syrische Nationalrat (SNR), ein Zusammenschluss verschiedener Oppositionsgruppen, bekam Heimat in der Türkei. In ihm stellen die syrischen Muslimbrüder die Mehrheit. Außerdem durfte sich der sogenannte Oberste Militärrat der Freien Syrischen Armee in der Türkei niederlassen, dessen Einfluss auf die Einheiten der FSA in Syrien selbst allerdings nach wie vor begrenzt ist.
Und wer bei der türkischen Grenzstation Killis nach Syrien fährt, sieht die schier endlose Kolonne von Lastwagen, die Lebensmittel geladen haben, aber auch Zement und anderes Baumaterial. Oder die Planen der LKWs sind so gut festgezurrt, dass man die schwere Fracht auf der Ladefläche kaum ahnen kann. Das sunnitische Rebellenland im Norden Syriens hängt am Tropf der sunnitischen Türkei.
Die Antwort Assads ließ nicht lange auf sich warten. Er arrangierte sich mit der Kurdenpartei PYD im Nordosten Syriens, zog einen großen Teil seiner Truppen aus dem Kurdengebiet ab und überließ es dieser Partei. Der Grund: Die PYD (Partei der Demokratischen Union) ist ein Ableger der türkischen PKK, die nur wenige Kilometer jenseits des nahen Grenzflusses auf der türkischen Seite gegen ihren Erzfeind, die türkische Regierung, operiert. Spricht man PYD-Funktionäre auf diesen nie offiziell bestätigten Deal an, dann streiten sie natürlich alles ab. Der Parteivorsitzende Salih Muslim zum Beispiel sagte mir:
»Assad ist unser Feind. Bei den Aufständen von Qamishli 2004 waren die meisten Toten Mitglieder unserer Partei. Wir verraten unsere Märtyrer nicht durch einen solchen Handel.«
Getroffen hatte ich den Parteichef im September 2012 im irakisch-kurdischen Erbil in einem Luxushotel, in dem er die meiste Zeit lebt.
Tatsächlich wurden Kurden in Syrien seit den fünfziger Jahren immer rücksichtslos unterdrückt. Daran hatte auch die Assad-Dynastie nichts geändert: Die kurdische Kultur und Sprache waren verboten, nicht wenigen wurde sogar die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie so zu Staatenlosen gemacht, die ihre Kinder weder auf Schulen schicken durften noch Eigentum erwerben oder offiziell heiraten durften.
Meine nächste Fragen an Salih Muslim: »Warum sind die Truppen Assads dann plötzlich abgezogen?«
Seine selbstbewusste Antwort: »Weil sie erkannt haben, dass sie gegen die Miliz der PYD keine Chance haben. Wir sind zu stark.«
Spricht man aber mit den Funktionären anderer kurdischer Parteien, dann hört man immer wieder:
»Es gibt eindeutig Absprachen zwischen der PYD und dem Regime in Damaskus. Wenn sie sich nicht den Aufständischen anschließen, dann bekommen sie ihre Autonomie. Außerdem kann Assad die Truppen, die er abzieht, anderswo einsetzen.«
Baschar al-Assad entschied sich offensichtlich unter dem Druck des Bürgerkrieges für eine Politik nach dem alten arabischen Sprichwort: »Der Feind meines Feindes ist mein
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