Brennpunkt Nahost
Waffenstillstand. Selbst diesen mit einem Machthaber zu schließen, der Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk einsetzt, dürfte den meisten an dem Konflikt Beteiligten schwerfallen, wenn nicht gar unmöglich sein. Alle, die sagen: »Mit einem solchen Verbrecher verhandele ich nicht«, haben mein volles Verständnis. Doch was ist die Alternative? Im Augenblick sieht es nicht so aus, als könne eine Seite gewinnen. Also kann nur weitergekämpft und geblutet oder verhandelt werden.
Syrien schafft es nicht aus eigener Kraft, diesem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt zu entkommen. Syrien braucht Hilfe von außen. Es gibt nur zwei Länder, die einen solchen Waffenstillstand durchsetzen können. Das sind Russland und die USA. Russland ist für Assad ein bislang sicheres Veto gegen Verurteilungen durch den Sicherheitsrat, außerdem der wichtigste Waffenlieferant, die USA ist die Schutzmacht von Saudi Arabien und Katar, den Ausrüstern der Rebellen, und hat damit also Einfluss auf diese beiden Rebellenfreunde. Nur wenn diese beiden Mächte im UN-Sicherheitsrat eine gemeinsame Haltung entwickeln, können sie sich bei Aufständischen und Assad durchsetzen. Nur wenn beide einen Waffenstillstand in Syrien wollen, hat er Aussicht auf Erfolg.
Luftangriffe der Amerikaner allein werden das syrische Regime kaum stürzen können. Den Rebellen am Boden wird dies auch nicht gelingen. Sie sind zu zersplittert und untereinander zerstritten und haben daher wenig Chance gegen die geschlossenen gut organisierten Kampfverbände der syrischen Armee, die zudem noch von Kämpfern der Hisbollah unterstützt werden. An Ausrüstung mangelt es nicht. Russland liefert jederzeit Nachschub. Und der Westen kann kein Interesse daran haben, Djihadisten stark zu machen.
Russland trägt ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Entwicklung in Syrien. In erster Linie wegen der bedingungslosen Unterstützung Assads. Selbst den Einsatz von Chemiewaffen lässt Putin Assad durchgehen und er verhindert auch eine Verurteilung. Außerdem hat Russlands Blockadepolitik in diesem wichtigen UN-Gremium seit mehr als zweieinhalb Jahren Syrien vor Strafmaßnahmen bewahrt.
Es wäre aber falsch, ausschließlich Russland den Schwarzen Peter zuzuschieben. Auch die USA haben gravierende Fehler gemacht. Den Iran von Konferenzen in Genf auszuschließen, war ein solcher Fehler oder Assad vorschnell als Täter zu verurteilen, noch ehe die Chemiewaffeninspektoren der UN ihre Ermittlungen vor Ort beendet hatten. Einen besonders schweren begingen die USA, als sie kurzfristig nach dem Chemiewaffenangriff bei Damaskus die Vorbereitungsgespräche mit Russland zu einer Syrienkonferenz absagten. Gerade in Krisensituationen können solche Kontakte über Krieg oder Frieden mitentscheiden.
Russland lässt sich nur als Partner für einen Waffenstillstand gewinnen, wenn der Westen Moskaus besondere Interessen im Nahen Osten anerkennt. Außerdem, so schreibt der ehemalige deutsche Botschafter in den USA und jetzige Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, seien die Voraussetzungen für eine gemeinsame Syrienpolitik so schlecht gar nicht: »Im Kern teilen Russland und der Westen wichtige Interessen in Syrien. Niemand will noch das Assad-Regime, niemand den Zerfall Syriens, niemand ein islamistisches Land. Aufgrund der traditionellen Bindungen zwischen Moskau und Damaskus kann eine Lösung für den Konflikt nur über Moskau laufen. Russlands Geheimdienst ist in seinem Wissen über das Assad-Regime den westlichen Diensten weit überlegen.« Doch eine grundlegende Voraussetzung müsse vom Westen geschaffen werden: »Die russische Regierung wird Sanktionen oder gar militärischem Zwang nur dann zustimmen, wenn sie nicht die Sorge hat, über den Tisch gezogen zu werden.« Wie es nach Meinung der Russen im Fall Libyen geschehen war, müsste man noch ergänzen.
Schon eine Feuerpause von zunächst begrenzter Dauer wäre mehr als eine Atempause in diesem Krieg, dem andernfalls noch tausende Menschen zum Opfer fallen werden. Ein halbes Jahr Waffenruhe zum Beispiel. In dieser Zeit sollten alle an dem Konflikt Beteiligten zusammengebracht werden. Gemeinsam an einem runden Tisch mit dem Ziel, zu verhandeln über die Zeit nach dem Waffenstillstand. Wenn nicht runder Tisch, dann in Einzelgesprächen über Vermittler, die das Vertrauen aller Beteiligten genießen. Während dieser Zeit darf es keine Gebietsveränderungen geben, keine Truppenverschiebungen, keine Angriffe.
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