Bretonische Verhältnisse
steingefassten historischen Quai der »Rive droite« stattliche Segelschiffe bestaunen, die keinen Zweifel daran ließen, dass man sich am Meer befand.
Dupin hatte fürchterlichen Hunger. Er hatte bis auf das Croissant am Morgen noch nichts gegessen, fiel ihm ein. Zu essen vergaß er regelmäßig, wenn er in einem Fall steckte, und merkte es erst, wenn ihm schwindelig war. Er beschloss, wenn auch widerwillig, zum Place Gauguin hochzulaufen und eines der Cafés dort zu versuchen. Sie hatten ein bisschen mehr nach echter Restauration ausgesehen. Außerdem konnte er von dort das Hotel im Auge behalten.
Oben angekommen, wählte er das Café am anderen Ende des kleinen Platzes, gegenüber vom Central . Es war nicht viel los. Dupin setzte sich an einen Tisch ganz am Rande. Vor dem Central stand immer noch eine Handvoll Menschen und war rege in Gespräche vertieft. Auch der Place Gauguin lag jetzt in der prallen Sonne, und man war in der Tat froh um Julia Guillous Platanen. Dupin bestellte sich einen grand crème und ein Sandwich jambon-fromage . Dazu eine große Flasche Badoit. Ein sehr freundlicher Kellner nickte einvernehmlich. Er hatte eigentlich Lust auf einen crêpe complète gehabt, die liebte er, vor allem das zerlaufende Ei in der Mitte auf Schinken und Käse, aber er hielt sich streng an Nolwenns Regel: Crêpes nur in guten Crêperien.
Dupin sank tiefer in den Stuhl, der überraschend bequem war. Er beobachtete das Kommen und Gehen am Platz. Plötzlich zog eine mächtige schwarze Limousine, ein schwerer Mercedes, seine Aufmerksamkeit auf sich. Er fuhr fast herausfordernd langsam den Platz entlang.
Das Handy schrillte. Dupin sah auf die Nummer. Es war Nolwenn. Dennoch nahm er ein wenig unwirsch an.
»Es gab viele Anrufe für Sie, Monsieur le Commissaire.«
»Dachte ich mir.«
Wenn er sein Telefon ausschaltete – wie eben bei den Pennecs –, wurden alle Anrufe an das Büro weitergeleitet.
»Ich esse gerade etwas. Ich versuche es zumindest.«
»Bon appétit. Präfekt Locmariaquer. Riwal, drei Mal. Docteur Lafond. Docteur Garreg. Fabien Goyard, der Bürgermeister von Pont Aven. Und – Ihre Véro. Der Präfekt ist sehr besorgt …«
»Mon Dieu. Er kann mich mal mit seinem blöden Komitee … Und es ist nicht ›meine Véro‹.«
Das mit Véro war eigentlich vorbei. Für ihn. Wahrscheinlich. Zumindest war er beinahe sicher. Wie alle Geschichten, die es gegeben hatte, seit er Paris »verlassen« hatte, dann irgendwie irgendwann vorbei gewesen waren. Er redete sich immer noch fest ein, dass es aus war, das mit Claire, die sieben Jahre damals in Paris. Bis heute redete er sich das ein. Aber das war jetzt nicht der Moment.
»Was für ein Komitee? Der Präfekt wollte zum Ausdruck bringen, wie sehr er in Sorge ist ob des entsetzlichen Mordes, der ganz sicherlich große Wellen schlagen werde.«
»Ja? Ach.«
»Docteur Garreg sagte, es sei etwas Wichtiges. Er wollte mir aber weiter nichts verraten.«
»Ich esse jetzt etwas.«
»Tun Sie das.«
Docteur Garreg war Dupins knurriger Hausarzt in Concarneau. Dupin konnte sich nicht vorstellen, was er wollte. Sein letzter Besuch lag einige Monate zurück, sie hatten alles besprochen, was zu besprechen war. Irgendwie mochte er das nicht: sein Hausarzt, der dringend mit ihm reden wollte.
Das Sandwich war lausig, vollkommen trocken, das Baguette viel zu sehr durchgebacken, er aß es dennoch. Und überlegte sogar, ein zweites zu bestellen, er hatte wirklich schrecklichen Hunger. Der café war auch kein Stück besser als der von vorhin. Dupins Laune war im Keller. Er hatte sich schon heute früh im Wagen keine Illusionen gemacht. Der Druck würde groß sein, den Fall umgehend zu lösen. Wenigstens rasch etwas Substanzielles präsentieren zu können. Und der Druck würde von allen Seiten kommen. Ein Mord an einer Person wie Pierre-Louis Pennec traf die Bretonen ins Herz. Zudem befanden sie sich fast in der Hochsaison, niemand wollte in diesen Wochen einen Mörder frei herumlaufen sehen. Am unangenehmsten würden die vielen »einflussreichen« Menschen sein, Politiker, die ganze Nomenklatura, die glaubten, ihm auf diversen Wegen »Ratschläge« erteilen zu können. Er kannte das alles. Und hasste es. Täglich würde es, auch das war ihm klar, die Anrufe aus der Präfektur in Quimper geben.
Wieder klingelte das Telefon. Riwal. Dupin wusste, dass er rangehen sollte, ließ es aber klingeln. Es erstarb. Und begann einen Augenblick später von Neuem. Abermals
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