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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Pennecs sichtlich gut.
    »Wann werden Sie das Testament sehen?«
    Wieder blickte Loic Pennec ein wenig verdrießlich.
    »Ich weiß es noch nicht. Wir werden einen Termin bei der Notarin machen müssen.«
    »Hat Ihr Vater außer Ihnen noch andere Menschen bedacht?«
    »Nein. Wie kommen Sie darauf?« Pennec zögerte. »Ich weiß es natürlich nicht genau.«
    »Werden Sie viel ändern?«
    »Ändern? Was ändern?«
    »Am Hotel. Am Restaurant.«
    Kommissar Dupin merkte, dass seine Frage ein wenig krude geklungen hatte, sie schien ihm selbst unangemessen zu diesem Zeitpunkt. Er hatte keine Ahnung, wie er jetzt gerade darauf gekommen war. Es war doch ein längeres Gespräch geworden, er würde gleich Schluss machen.
    »Ich meine, es ist doch ganz richtig – und auch notwendig, dass jede Generation mit Neuerungen beginnt. Nur so erhält man das Alte, nur so bleibt die Tradition lebendig.«
    »Ja. Ja. Sie haben recht. Aber darüber haben wir noch nicht nachgedacht.«
    »Natürlich. Das verstehe ich. Es war auch eine inadäquate Frage.«
    Die Pennecs schauten ihn abwartend an.
    »Meinen Sie, Ihr Vater hätte Ihnen von schweren Streitfällen, von Konflikten welcher Art auch immer erzählt?«
    »Ja, natürlich. – Ich glaube es zumindest. Er war ein eigensinniger Mann. Er hatte immer seine ganz eigene Idee von allem.«
    »Ich habe Sie lange genug aufgehalten. Entschuldigen Sie bitte. Ich werde jetzt wirklich gehen. Sie befinden sich in großer Trauer. Das ist ein fürchterliches Verbrechen.«
    Madame Pennec nickte sehr deutlich.
    »Ich danke Ihnen, Monsieur le Commissaire. Sie tun Ihr Bestes.«
    »Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, melden Sie sich bitte bei mir. Ich lasse Ihnen meine Nummer da. Zögern Sie nicht, egal, was es ist.«
    Dupin legte seine Karte auf den Sofatisch und steckte sein Notizheft ein.
    »Das werden wir.«
    Loic Pennec stand auf. Seine Frau tat es ihm gleich, Dupin ebenso.
    »Wir hoffen, Sie werden schnell Fortschritte machen, Monsieur le Commissaire. Ich wäre mehr als erleichtert, wenn der Mörder meines Vaters ganz bald gefasst würde.«
    »Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald es Neuigkeiten gibt.«
    Loic und Catherine Pennec begleiteten ihn bis zur Tür. Sie verabschiedeten sich betont höflich.
    Es war wirklich ein fantastischer Sommertag geworden, für bretonische Maßstäbe war es richtiggehend heiß, knapp über dreißig Grad. Die Atmosphäre in der Villa der Pennecs war beklemmend gewesen, Dupin war froh, wieder im Freien zu sein. Er liebte die stetige, sanfte, fast unmerkliche Brise des Atlantiks. Es war schon viel später als er gedacht hatte, der Morgen war längst herum. Bei diesem Wetter waren die Menschen am Strand, Pont Aven war selbst hier am Hafen wie ausgestorben.
    Gerade war tiefste Ebbe, die Boote lagen seitlings auf dem schlammigen Boden, als würden sie sich ausruhen. Es war malerisch. Dupin vergaß es immer wieder. Das kleine Pont Aven zerfiel auf erstaunliche Weise in zwei Teile. Den oberen Teil und den unteren am Hafen – genauer: in den Fluss und das Meer, die, obwohl sie so nah beieinanderlagen, ganz gegensätzliche Landschaften, Eindrücke und Stimmungen erzeugten. Er war sich sicher, dass auch dies die Künstler fasziniert hatte. Er erinnerte sich gut daran, als er das erste Mal von Concarneau aus hierhergekommen war und am Place Gauguin geparkt hatte. Es war so anders gewesen. Und schon an der Luft konnte man den ganzen Unterschied ausmachen. In Concarneau atmete und schmeckte man Salz, Jod, Algen, Muscheln, bei jedem Atemzug, wie destilliert die ganze unendliche Weite des Atlantiks, Helligkeit und Licht. In Pont Aven den Fluss, feuchte, schwere Erde, Heu, Bäume, Wälder, das Tal und Schatten, melancholische Nebel – das Land. Es war der Gegensatz von »Armorica« und »Argoat«, wie es im Keltischen hieß, dem »Land im Meer« und dem »Land der Bäume«. Dupin hatte gelernt, dass die Welt der Bretonen ganz wesentlich aus diesen Gegensätzen bestand, ihre ganze lange Geschichte hindurch bis heute. Er hätte sich früher nie vorstellen können, dass beide Welten so nah beieinanderliegen und sich so fern sein können, so fremd. Und Pont Aven, das war vor allem Argoat, das war Land, Bauernhöfe, Landwirtschaft –, aber es war auch Armorica, nämlich hier unten am Hafen, wo die Flut alles mitbrachte, das Meer, alles, was es ausmachte, seine ganze Stimmung. Manchmal konnte man an dem – das teilte einem eine große Tafel stolz mit – dreihundertzwanzig Meter langen

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