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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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jemals irgendwem wirklich erzählt hat. Delon vielleicht. Vielleicht kennt sie die Frau seines Halbbruders. Seine dritte Frau. Sehr viel jünger als er. Mein Vater und sein Bruder haben seit zwanzig, dreißig Jahren nicht mehr viel miteinander gesprochen. André Pennec ist zweiundzwanzig Jahre jünger als mein Vater.«
    »Ihr Großvater hatte eine außereheliche Beziehung?«
    »Ja, so war es. Eine Südfranzösin. Noch jung. Anfang der Dreißiger. Es hielt nicht lange.«
    »Aber doch einige Zeit. Über zwei Jahre ging das«, fügte Catherine Pennec hinzu.
    Pennec warf seiner Frau einen kritischen Blick zu.
    »Wie auch immer: Die Frau wurde schwanger und zog in den Süden zurück, zu ihrer Familie. Mein Großvater hat seinen Sohn nicht sehr häufig gesehen. Und dann starb er, da muss André noch unter zwanzig gewesen sein. Ich wüsste gar nicht, wer diese Geschichte überhaupt noch kennt. Außer André.«
    Dupin machte sich ausführliche Notizen.
    »Und Fragan Delon war der engste Freund Ihres Vaters?«
    »Sie waren alte Freunde. Ja. Seit ihrer Kindheit. Der alte Delon ist ein verschlossener Mann. Auch er schon lange allein. Kein glückliches Schicksal, glaube ich.«
    Er musste mit Delon sprechen, das hatte er sich schon in dem Gespräch mit Madame Lajoux vorgenommen.
    »Kennen Sie Fragan Delon gut?«
    »Nicht besonders gut. Nein.«
    »Und kennen Sie das Testament Ihres Vaters?«
    Die Frage kam übergangslos. Auf Pennecs Gesicht war eine leichte Indignation zu sehen.
    »Sie meinen das Dokument? Nein.«
    »Haben Sie nie darüber gesprochen?«
    »Doch. Natürlich. Aber ich habe das Testament nie gesehen. Er wollte, dass ich das Hotel übernehme. Darüber haben wir viel gesprochen, seit Jahren. Immer wieder.«
    »Ich bin sehr froh, das zu hören. Ein so berühmtes Haus.«
    »Es ist eine – es ist eine große Aufgabe. Mein Vater hat es vor dreiundsechzig Jahren übernommen, da war er achtundzwanzig Jahre alt. Meine Urgroßmutter, Marie-Jeanne, hat es 1879 gegründet. Das wissen Sie sicherlich schon.«
    »Eine echte Pennec, sie hat gesehen, was die Zukunft sein würde: Tourismus . Und natürlich die Künstler. Sie kannte sie alle. Die ganzen Künstler. Man hat sie in einem Grab mit Robert Wylie begraben – einem amerikanischen Maler. Diesen Rang hatte sie.«
    Madame Pennecs Stimme war von Stolz getragen.
    Dupin hatte das Gefühl, dass er die Geschichte des Central und der Schule von Pont Aven noch einige Male hören würde in diesem Fall. Jedes bretonische Schulkind konnte die Geschichte des Hotels und der Künstler im Schlaf aufsagen. Marie-Jeanne Pennec hatte die Zeichen der neuen Zeit in der Tat erkannt: die Erfindung der »Sommerfrische«, die aufkommende Vorliebe für die Küste und das Meer, den Strand, die Sonne – und am Place Municipale ein einfaches Hotel eröffnet. Robert Wylie war der erste Künstler hier gewesen, schon 1864 kam er nach Pont Aven und holte bald seine Freunde nach. Alle waren sie verzaubert von der »perfekten Idylle«. Es folgten Iren, Holländer, Skandinavier, dann Schweizer – und, erst über ein Jahrzehnt später, französische Maler; die Ortsansässigen nannten alle nur noch »die Amerikaner«. 1886 kam Gauguin; aus der Künstlerkolonie wurde die Schule von Pont Aven , die eine neue radikale Malerei erfand.
    Sicherlich waren es viele Gründe, die die Künstler in die Bretagne und nach Pont Aven zogen, ins alte Keltenland – Armorica, das »Land im Meer«, wie die Gallier es genannt hatten. Die magischen Landschaften, die vom geheimnisvollen Zeitalter der Menhire und Dolmen zeugten, vom Land der Druiden, großer Legenden und Epen. Sicher kamen sie auch, weil Monet bereits seit einiger Zeit auf der mit bloßem Auge von der Avenmündung aus zu sehenden Belle Île arbeitete. Oder, weil sie das Urtümliche, Einfache, Unverstellte suchten und hier fanden, das Bäuerliche, Ländliche, die alten Bräuche und Feste. Und den urbretonischen Hang zum Wunderbaren und Mystischen. All das waren Gründe –, aber in der Tat hatten die beiden Hotelbesitzerinnen Julia Guillou und Marie-Jeanne Pennec und ihre ganz und gar generöse Gastlichkeit eine wichtige Rolle gespielt. Sie hatten ihre Aufgabe darin gesehen, das »größte Atelier unter freiem Himmel« so komfortabel wie möglich zu arrangieren.
    »Ja, Monsieur Pennec, das ist allerdings ein Mandat. Das ist weit mehr als ein Geschäft.«
    Dupin war selbst ein wenig erstaunt, wie pathetisch er formulierte. Die großen Erinnerungen taten den beiden

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