Brian Lumleys Necroscope Buch 3: Blutmesse (German Edition)
redeten.
Und so, um sicher zu sein, dass sie auch »nichts als die Wahrheit« von ihm präsentiert bekamen, hatten sie ganz am Anfang begonnen, noch bevor Simmons vom Secret Service rekrutiert worden war, eigentlich sogar schon vor seiner Geburt ...
Simonow war ein naheliegender Name für ihn gewesen, weil das der Name seines Vaters war. Mitte der Fünfzigerjahre war Sergei Simonow in Kanada in den Westen übergelaufen. Er war als Trainer einer aufstrebenden sowjetischen Eiskunstlaufmannschaft dorthin gekommen. Aber auch wenn er auf dem Eis diszipliniert und die Ruhe selbst war, war er ansonsten aufbrausend und neigte zu voreiligen und unüberlegten Entschlüssen. Später, wenn er sich wieder beruhigt hatte, änderte er häufig seine Meinung, aber es gibt Dinge, die kann man nicht einfach wieder ungeschehen machen. Überlaufen gehört dazu.
Sergeis Affäre mit einem kanadischen Eislaufstar ging in die Brüche, und er war plötzlich allein in einem fremden Land. Er hatte jedoch Angebote aus den USA, und die völlige Freiheit war immer noch ein berauschendes Gefühl. Als Trainer einer Eislauftruppe aus New York war er Elizabeth Fallon begegnet, einer britischen Journalistin, die als Auslandsberichterstatterin in den USA arbeitete, und sie hatten sich ineinander verliebt. Es folgte eine überstürzte Verlobung und Heirat. Elizabeth verschaffte Sergei einen Job in London, und Michael J. Simmons wurde in Hampstead geboren, auf den Tag genau neun Monate nach dem ersten Treffen seiner Eltern in einem serbischen In-Lokal in Greenwich Village.
Sieben Jahre später, am 29. Oktober 1962, ein oder zwei Tage nachdem Chruschtschow in der Kubakrise klein beigegeben hatte, spazierte Sergei in die russische Botschaft und kam nicht wieder heraus. Zumindest sah man ihn im Westen nicht wieder. Seine greisen Eltern hatten ihm aus einem Ort in der Nähe von Moskau geschrieben, wo es ihnen alles andere als gut ging. Sergei war deprimiert wegen seiner Ehe, mit der es seit einiger Zeit bergab ging, und sein unzeitgemäßes erneutes Überlaufen war wieder eine seiner typisch überhasteten Entscheidungen. Er wollte nach Hause gehen und sehen, was er aus dem Scherbenhaufen noch retten konnte. Elizabeth Simmons – sie hatte immer auf der englischen Schreibweise des Namens bestanden – meinte nur: »Lieber ein Ende mit Schrecken ... Ich hoffe, sie schicken ihn irgendwohin, wo er viel Eis um sich hat!« Wie es sich später herausstellte, taten »sie« genau das. Im Herbst 1964, in der Woche vor Jazz’ neuntem Geburtstag, erfuhr seine Mutter von den zuständigen staatlichen Stellen, dass Sergei Simonow erschossen worden war, nachdem er bei einem Fluchtversuch aus einem Arbeitslager in der Nähe von Tura in der sibirischen Tundra einen Wachmann getötet hatte.
Sie weinte ein wenig, wegen der guten Zeiten, die sie gehabt hatten, und dann ging das Leben weiter. Aber für Jazz ...
Jazz hatte seinen Vater sehr geliebt. Diesen dunkelhaarigen gut aussehenden Mann, der abwechselnd in zwei verschiedenen Sprachen mit ihm sprach, der ihm schon als kleines Kind das
Eis- und das Skilaufen beigebracht hatte, und der so leidenschaftlich von seinem weitläufigen Vaterland sprach und damit einen Samen in ihm pflanzte, ein tief sitzendes und anhaltendes Interesse an allem, was mit Russland zu tun hatte – ein Interesse, das bis auf den heutigen Tag anhielt. Er hatte auch bitter über die Ungerechtigkeiten dieses Systems geklagt, aber das war einfach zu hoch für Jazz’ kindliches Verständnis gewesen. Aber jetzt, im Alter von gerade mal neun Jahren, holten die Worte seines Vaters ihn wieder ein und bekamen einen Sinn und Gehalt, der mit seinem Wissensdurst in Konflikt stand. Der Vater, den Jazz geliebt hatte und an dessen Rückkehr er nie gezweifelt hatte, war tot, und das Russland, das Sergei Simonow geliebt hatte, hatte ihn umgebracht. Von da an galt Jazz’ Interesse nicht so sehr der überwältigenden Größe dieses Landes und den Menschen, die dort lebten, als vielmehr der Maschinerie, von der sie unterdrückt wurden.
Jazz hatte seit seinem fünften Lebensjahr eine Privatschule besucht und sein besonderes Interesse galt natürlich der russischen Sprache, in der er von einem Privatlehrer unterrichtet wurde, aber auch mit seinem Vater übte er ständig. Mit zwölf war es offensichtlich, dass er das Verständnis eines Linguisten für die Sprache hatte. In einem speziell für ihn erstellten Test erreichte er fast 100 Prozent der möglichen Punkte. Er
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