Bride 02 - Tempel Der Liebe
körperliche wie seelische Gesundheit kämpfen musste.
Reumütig gestand sie sich ein, dass sie ihm in dieser Zeit keine große Hilfe gewesen war. Ihr Verhalten war von beflissener Unterwürfigkeit zu zorniger Verbissenheit umgeschlagen; das Stadium einer liebevollen, hilfreichen Freundin hatte sie übersprungen. Von der treuen Ehefrau ganz zu schweigen. Ihr war selbst nicht wohl in ihrer Haut. Die Wochen nach seiner Rückkehr waren für beide schwer gewesen. Aber sie hatten die Klippen umschifft und waren zu einer inneren Harmonie gelangt. Wohin würde das wohl führen?
Auf der zweiten Ebene der Burg befanden sich niedrige, zerfallene Steinhütten, die als Ställe, Vorratslager oder Werkstätten gedient hatten. Ohne sich dort lange umzusehen, stiegen sie weiter hinauf und gingen durch das Tor zum dritten und höchsten Burgwall. Der Burgfried, die bewehrten Wachttürme und andere wichtige Gebäude, jetzt alle ohne Dach, gruppierten sich an den drei Seiten eines Innenhofes. Die vierte Seite, im Süden, bildete die hohe Steinmauer, durch die sie gerade gekommen waren.
Das herannahende Unwetter hatte den Wind stärker werden lassen, so dass er einem Mann den Hut vom Kopf wehen konnte. All das machte die Szenerie nur noch gespenstischer. Troth warf den Kopf zurück und lachte. Sie war glücklich. Castle Doom war so wild und frei wie der Wind.
Der Hauptturm erhob sich am Ostwall an der rechten Seite, aber Kyle wies nach links auf die Steintreppe, die zu der zinnenbewehrten Befestigung in der Südostecke des Hofes hinaufführte. »Wenn du diese Stufen noch hinaufsteigen kannst, siehst du halb Zentralschottland.«
Sie warf ihm einen übermütigen Blick zu. »Ich schaffe das schon. Aber bei dir bin ich mir nicht so sicher!«
Bevor er die passende Antwort geben konnte, erschütterte ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Troth zuckte zusammen. Sie dachte, der erste Donnerschlag hätte das Unwetter angekündigt.
Als sie ein zweiter, peitschender Knall zusammenfahren ließ, packte Kyle sie um die Hüfte und zog sie in den Toreingang des Burgfrieds. Es donnerte wieder. Hastig schob er sie auf die linke Seite der Tür und drückte sie flach an die Steinmauer. Verwirrt keuchte sie: »Was soll das?«
»Da schießt einer auf uns«, sagte er finster.
Bevor Troth widersprechen konnte, knallte es noch ein paar Mal, und sie sah Steinsplitter vom Boden aufspringen, knapp einen Meter von ihnen entfernt. Entsetzt starrte sie auf die Stelle. »Warum sollte uns jemand erschießen wollen?«
»Wenn ich das wüsste. Vielleicht ist es ein Verrückter, der sich auf der Burg häuslich eingerichtet hat und uns als vermeintliche Eindringlinge vertreibt.«
Sein Oberkörper presste sich so fest an sie, dass sie seinen Herzschlag fühlen konnte. Er beschützt mich, dachte sie. Keine Kugel konnte sie treffen, ohne ihn zuerst zu durchschlagen. »Wieso hast du das sofort gewusst?«
»In Indien diente ich eine Zeit lang bei der Armeepatrouille an der Nordwestgrenze. Sehr lehrreich. Die Afghanen sind ausgezeichnete Schützen. Man vergisst niemals mehr das Geräusch, wenn der Feind das Gewehr anlegt und aus nächster Nähe auf einen zielt.«
Sie hätte gewettet, dass er seinem Vater gegenüber nie ein Wort über diese Unternehmungen erwähnt hatte. Die Vorstellung ängstigte sie, auch wenn sie Kyle damals noch nicht gekannt hatte.
Das Schießen hatte aufgehört, nachdem sie außer Sichtweite waren. Kyle ging einen Schritt zurück und zog seinen Mantel aus. Nachdem er ihn zu einem Bündel zusammen geknautscht hatte, hielt er ihn in Kopfhöhe an den offenen Türbogen. Wieder zerfetzte eine Salve die Stille. Da das Stoffbündel ruckartig zurückschnellte, nahm sie an, dass Kyles Köder von mindestens einer Kugel durchschlagen worden war. Als er den Mantel wieder umlegte, schimmerte das weiße Hemd durch die versengten Löcher.
»Das müssen mindestens zwei Männer sein, mit mehr schussigen Gewehren«, stellte er gelassen fest. »Vermutlich sind sie im Wachturm, genau gegenüber von uns. Von da aus können sie den ganzen Hof überblicken, einschließlich des Tors, das zum unteren Wall führt. Wir wären von Kugeln durchlöchert, bevor wir uns zehn Schritte in Richtung Tor bewegt hätten.«
»Ich wusste nicht, dass es mehr schussige Gewehre gibt.«
»Die stellen einige der teuersten Waffenschmiede in London her. Eine solche Waffe würde ein armer, verrückter schottischer Einsiedler nicht bei sich tragen.«
Sie schöpfte Hoffnung, als sie fragte:
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