Bride 02 - Tempel Der Liebe
sich auf der Decke zusammenkringelte. »Kann ich ein Nickerchen machen? Ich bin vom Aufsteigen müde.«
Trotz seiner angespannten Muskeln versuchte er möglichst gelassen zu wirken. »Nun ja, so weit ist es schließlich auch nicht mehr.«
Einen Teil des Plaids faltete sie als Kopfkissen zusammen, den Rest nahm sie als Zudecke. Obwohl es klüger gewesen wäre, einen sicheren Abstand zu ihr zu wahren, blieb er neben ihr sitzen und sah zu, wie sie unbekümmert wie ein Kätzchen einschlief. Eine wunderschöne Mischung aus Ost und West spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Ihn faszinierten die feinen Wangenknochen, über die sich die samtweiche Haut spannte, und die schmale Form ihrer Augen. Das Haar hatte sie heute mit einem Band im Nacken zusammengebunden. Einige lose Strähnen leuchteten in der Sonne rötlich auf. Und dieser zierliche weibliche Körper, geschmeidig und stark ...
Mit schmerzenden Lenden sammelte er die Reste der Nierenpastete ein, die Troth probiert hatte, aber nicht mochte. Dann ging er zu der Stelle zurück, an der sie die Wildkatze gesehen hatten. Er legte das Stück Pastete in das Gras, entfernte sich und behielt es im Auge. Es dauerte nicht lange und die Katze tauchte aus dem Gestrüpp auf, blickte sich vorsichtig um, bevor sie den Leckerbissen nahm und wieder verschwand. Er lächelte. Sie und die Kätzchen würden sich daran delektieren.
Mit der Besichtigung des Burgfrieds wollte er lieber auf Troth warten und so begnügte er sich mit einem Spaziergang auf dem untersten Wall. Trotz des strahlenden Sonnenscheins wurde er dieses seltsam beklemmende Gefühl nicht los, das ihn schon seit einer Weile verfolgte.
Die Burg und das umliegende Gelände samt der Stützmauern und Wälle nahmen die gesamte Bergkuppe ein. Auf dem ersten Wall hatten sich anscheinend nur Gärten befunden, aber in eine Ecke geschmiegt entdeckte er eine Kapelle. Das kleine, steinerne Gebäude war überraschend gut erhalten, sogar das Schieferdach war in ziemlich gutem Zustand. Die englischen Soldaten, die Castle Doom aus strategischen Gründen zerstört hatten, mussten die kleine Kapelle bewusst verschont haben. Vielleicht fürchteten sie den Zorn des Allmächtigen.
Bei seinem ersten Besuch auf der Burg hatte er die Kapelle übersehen. Da Dominic und er bis zum obersten Burgwall ein Wettrennen veranstaltet hatten, war der untere Wall völlig uninteressant gewesen. Natürlich hatten sie den obersten Wall gleichzeitig erreicht. Zwischen ihnen hätte es vielleicht weniger Konkurrenz gegeben, wären sie sich beide nicht so ähnlich gewesen.
Die breite, eisenbeschlagene Kirchentür öffnete sich quietschend. Er betrat ein Refugium des Friedens und Lichtes. Vögel hatten im Taufbecken genistet. Unversehrt schmückte das schlichte Holzkreuz den Altar. Die massiven Eichenholzbänke standen wie seit eh und je ordentlich in einer Reihe, wenn auch verstaubt. Wahrscheinlich kümmerten sich die Bauern aus dem Tal um das Kirchlein.
Er setzte sich in die vorderste Kirchenbank, Staub hin, Staub her. Sollte er sich entschließen, einen zweiten Kammerdiener einzustellen, würde der Mann wahrscheinlich als Erstes die gesamte Garderobe seines neuen Herrn verbrennen, da sie durch den schonungslosen Gebrauch arg gelitten hatte.
Das farbige Fensterglas war längst nicht mehr vorhanden. Die steinernen Einfassungen warfen im einfallenden Sonnenlicht verschlungene Muster auf Bänke und Boden.
Er schloss die Augen und spürte in dieser einfachen, verlassenen Kapelle die gleiche Heiligkeit wie in dem goldenen Hoshan-Tempel. Jahrhunderte langes Beten hatte die Mauern geheiligt.
In meinem Ende liegt mein Anfang. Die Worte, die ihn in Hoshan bewegt hatten, hallten hier als Echo wider. Welch Ironie, sinnierte er, um die halbe Welt zu reisen, nur um zu einer geistigen Erleuchtung zu gelangen, die er auch in seiner eigenen Kirche gefunden hätte. Jetzt war er wieder nach Hause zurückgekehrt und der Kreis schloss sich. Während er in Hoshan ein brennendes Gefühl der Transformation erfahren hatte, überspülte ihn hier in dem alten Kirchlein eine langsam, aber mit aller Macht anwachsende Welle der eigenen Bewusstwerdung.
Die Flut stieg an, erfüllte ihn mit Wärme und stiller Freude. Seine Gedanken trieben zu anderen heiligen Orten, die ihn tief beeindruckt hatten. Vielleicht war die Seele kein Fundament, sondern ein Mosaik, zusammengesetzt aus mannigfaltigen kleinen Erkenntnissen und transzendentalen Momenten. Er war in der Welt herumgereist, um die
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