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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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eine Steinplatte von etwa einem Quadratmeter. Viele identische Steine befanden sich noch im Laderaum. Ein Polizist forderte uns schließlich auf, den Stein zu übernehmen und in das Loch zu legen, um ihn anschließend mit Erde zuzuschaufeln! Wisst ihr, was das für ein Stein war?«
    Alle schweigen und starren Mansur an, auch ich drehe am Rückspiegel, um ihn besser sehen zu können.
    »Ein Namenszug in arabischer und lateinischer Schrift stand auf dem Stein: ›Der Führer Muammar Gaddafi.‹ Später erfuhr ich, dass an diesem Tag alle Schüler und Lehrer in ganz Libyen dasselbe tun mussten: ein Loch im Schulhof schaufeln und einen solchen Stein beerdigen.«
    »Welchen Sinn macht denn das?«, fragt Najem.
    »Wenn ein dritter Weltkrieg viele Menschenleben auslöscht, sollen die Überlebenden erfahren, dass auf dieser Erde ein überragender Führer existierte, dessen Name Gaddafi war.«
    »Gott, ich bitte Dich um Gnade! Ich will nichts mehr hören«, sage ich und zünde mir eine weitere Zigarette an. »Ich werde jetzt Sufi-Musik spielen.«
    Die Scheinwerferlichter des Grenzpostens geistern einem Ungeheuer gleich über die Grenzstation. Die leere Fläche der Wüste giert mächtig und gewaltig, wie ein gefährliches Tier aus Licht und Schatten auf dem Sprung. Hier verspüre ich oft eine schleichende Angst: vor dem Grenzposten, vor den Polizisten und sogar vor dem Ein- und Ausreisestempel. Obwohl ich mit dieser Grenze vertraut bin und sogar einige Polizisten beim Namen nennen kann, kann ich diese Furcht nicht abstreifen. Immer wieder wächst in mir die gleiche Unruhe, unendlich wie die Wüste und so mächtig wie der Grenzposten selbst.
    Vermutlich verstärken sich diese Gefühle, wenn ich sehe, wie misstrauisch die Fahrgäste sind, wenn sie die Polizisten erblicken. Die Libyer haben jedoch kein Problem mit Gastarbeitern, wenn diese nichts Verbotenes dabeihaben. Und ich habe weder verbotene Bücher noch Waffen.
    Ich kann gerade nicht viel erkennen, da ist nur das große Schild: »Große Sozialistische Libysch-Arabische Volks-Dschamahirija: Imsaad-Grenze …« Um uns herum ist nichts als das gelbe Tuch der Wüste. Und dieses künstliche Ding, genannt »Grenze«, vor dem sich alle fürchten. Ich fahre sehr langsam.
    »Gebt mir bitte eure Pässe!«, fordere ich meine Fahrgäste auf. Sie haben sie bereits griffbereit und reichen sie mir, horchen in die Stille und beobachten die Umgebung.
    »Nicht viel los«, bemerkt Said und schweigt wieder.
    Ich rolle langsam an die Grenze und erreiche endlich den Posten. Ich mache Licht und öffne das Fenster.
    »Eure Pässe! Parkt auf der linken Seite und kommt alle sofort ins Büro!«, fordert ein junger Polizist.
    Ich gebe ihm die Dokumente, fahre nach links und stelle den Wagen ab. »Okay, wir müssen jetzt ins Büro. Keine Sorge! Alles nur Routine«, sage ich. In Windeseile steigen die drei Männer aus.
    Den Kombi habe ich vor einer Wand geparkt, rechts und links von ihm stehen weitere Autos. Dahinter gibt es nur die Straße. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig hängt ein großes Gaddafi-Bildnis mit der Aufschrift: »Der einzige Adler und der König der afrikanischen Könige.« An der Mauer auf der linken Seite steht: »Die Revolutionskomitees sind überall.« Auf der rechten Seite an einer Tür: »Grenzposten. Passkontrolle …« Einige Stimmen da und dort.
    Dann steige auch ich aus. Nachdem ich die üblichen Formalitäten erledigt habe, kehre ich zu meinem Kombi zurück, fahre einige Meter weiter und halte wieder an. Meine drei Mitfahrer lassen auf sich warten. Ich zünde mir eine Zigarette an, öffne die Tür und beobachte das Gebäude, in dem die drei verschwunden sind. Nach einigen Minuten taucht Said lächelnd auf, gefolgt von Mansur.
    »Alles in Ordnung?«, frage ich. »Wo ist der Syrer?«
    »Keine Ahnung«, antwortet Said.
    »Noch haben wir die Zollbeamten vor uns. Hoffentlich überleben wir diese Nacht!«, scherze ich. »Danach geht’s weiter zur ägyptischen Grenze! Nicht zu übersehen steht dort ein Schild: Arabische Ägyptische Republik: Grenzposten As-Sallum. Daneben ein riesiges Porträt von Präsident Hosni Mubarak, auf dem er ganz sanft blickt und grinst. Also, verabschiedet euch bitte: tschüß Gaddafi!«
    Die beiden Männer lächeln.
    Ich greife nach dem großen Umschlag auf der Lenkradablage, gehe zum Kofferraum, öffne ihn, öffne den Reißverschluss meines Koffers, stecke den Umschlag hinein und schließe alles wieder. Meine übliche Prozedur, bevor ich die

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