Brief in die Auberginenrepublik
Journalisten waren.
In den letzten Jahren veränderte sich die Kundschaft merklich. Viele Jungs und Mädchen hingen herum, die den Schlauch der Wasserpfeife nicht richtig halten konnten. Genau wie in den Klischees über Kairo oder andere große arabische Städte in einem Hollywoodfilm.
Und Walid? Was bleibt von ihm? Eine neue Odyssee in irgendeinem Versteck? Vielleicht nur das Foto an der Wand? Ich schaue es genauer an. Leicht bekommt man den Eindruck, Walid sei nur ein Schatten oder ein Geist. Sein rundes Gesicht ist erkennbar, doch zugleich unscharf und von einem Dreitagebart umrahmt. Er ist unglaublich dünn, schmaler als jede Vogelscheuche, in einem schwarzen Anzug. Obwohl Jamila mit ihrem zärtlichen Lächeln klar erkennbar ist, steht er an ihrer Seite wie im Nebel, fast schemenhaft. Eine brennende Zigarette schimmert in seiner linken Hand, Rauch umhüllt seine Umrisse. Wenn ich das Bild weiter intensiv betrachte, scheint mir, als würden Nebel, Rauch und Wolken wie die Elemente Wasser, Feuer, Luft über Walid herrschen und sich mit dem Sand der Erde zu seinen Füßen vereinen. Alles verwirbelt und erhebt sich zu einem unsichtbaren Gewitter, das über seinen Schultern emporsteigt.
Walid und ich stammen aus demselben armen Viertel Bab El-Sharia in Kairo. Er wollte immer Schriftsteller werden, und ich Unternehmer. Sein Glück, dass Jamila Geld von ihrem Vater erbte, dass sie dieses Café eröffnen und davon gut leben konnten. Ich dagegen musste – nach meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre – jahrelang, fast ein ganzes Jahrzehnt, in Saudi-Arabien arbeiten. Ich sparte Geld, kehrte endlich nach Kairo zurück, heiratete und eröffnete mein Reisebüro. Mein Interesse gilt hauptsächlich der Arbeit, ich bin ziemlich das Gegenteil von Walid. Im Gegensatz zu ihm blättere ich höchstens mal in der Zeitung. Die Literatur kannte ich nur über meinen Freund, der ein richtiger Bücherwurm war. Und diese Welt der Literatur, die er vor mir ausbreitete, kam mir wie ein Märchen vor. Walid war für mich wie eine Brücke zwischen zwei verschiedenen Welten. Er erzählte mir Geschichten über Autoren, redete über Liebe, berichtete von neuen Büchern, auch von neuen politischen Entwicklungen, und las mir manchmal Gedichte vor. Das liebte ich an ihm, gleichzeitig war ich verwundert, dass er nichts anderes im Leben wollte als Liebe und Literatur.
Der Kellner bringt endlich meine Bestellung. Ich rauche, trinke den Tee und blicke zur Wanduhr. Ich muss lächeln, weil sie wie üblich die falsche Uhrzeit anzeigt. Sie zeigt immer 17 Uhr. Ich schaue auf meine Armbanduhr: 13.20 Uhr. Die Wanduhr ist sehr alt, der hölzerne Kuckuck öffnet zu jeder Stunde pünktlich seine kleine Tür, taucht aus seinem Nistkasten auf und ruft: »Kuck.« Dann kehrt er zurück, schließt die Tür, öffnet sie wieder, guckt heraus und: »Kuck.« Er guckt und tut dies immer genau sieben Mal. Ob es 13 oder 23 Uhr ist, scheint dem Holzvogel dabei völlig egal. »Sieben Mal, als wolle er die sieben Schöpfungstage für immer und ewig wiederholen«, meinte Walid einmal.
Über jeden Gegenstand in diesem Café gibt es eine Bemerkung von Walid, die mir im Gedächtnis geblieben ist. Nun merke ich, dass ein wohlklingendes Lied im Radio läuft. Die sanfte verliebte Stimme von Asmahan dringt melancholisch an mein Ohr:
O Geliebter, komm und sieh
,
was mit mir passiert ist
,
weil du so weit fort bist
…
Das alte Radio steht wie früher auf dem Fensterbrett. Es besteht nur aus einer Holzkiste mit zwei großen runden Drehknöpfen und einer silbernen Antenne. Walid das Chaos, so nannten ihn manche, hatte einmal gesagt: »Dieser Radioapparat ist richtig alt, uralt. Möglich, dass schon der Prophet Jona über dieses Gerät die Nachrichten hörte, als er im Bauch des Wals ausharrte. Vielleicht haben es auch die alten Griechen gebaut, um die Neuigkeiten zu hören, während sie sich im Bauch des Trojanischen Pferdes versteckten. In diesem stinkenden ekelhaften Pferd muss es bestimmt sehr langweilig gewesen sein …«
Asmahan singt immer noch dasselbe Lied:
Ich habe keinen Vater
,
keine Mutter und keinen Onkel
,
ich kann mich bei ihnen über das Feuer deiner Liebe nicht beschweren
.
Hat die bezaubernde Asmahan das Lied für die hübsche Jamila gesungen? Jamila ist ein passender Name für die Witwe meines Freundes, weil sie wirklich
jamila
– schön – ist. Schwarze Augenbrauen über braunen Augen, so groß wie die einer Gazelle, schmale Nase gleich einer
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