Briefe an eine Freundin
Lebendigkeit der Schilderung und zur Bestimmtheit des Bildes bei. Die äußere Ansicht Ihres elterlichen Hauses hat aber auch etwas in sich Freundliches und Gefälliges. Bei Gelegenheit des Todes Ihrer Mutter erwähnen Sie, obgleich dunkel und so, daß man nicht deutlich und bestimmt sehen kann, wie es gewesen ist, etwas Geisterartiges.
Dies bitte ich Sie nicht zu übergehen. Ist es, wie es fast scheint, Ihre Absicht, darauf bei einer andern Gelegenheit in der Folge zurückzukommen, so mag es so bleiben, und so lese auch ich die genaue Darstellung dieses Ereignisses lieber an dem Orte, den Sie für den paßlichsten halten. Wollen Sie aber nicht darauf zurückkommen, sondern es bei demjenigen bewenden lassen, was Sie darüber gesagt haben, so muß ich Sie bitten, dieser Sache eine besondere Zugabe zur zweiten Lieferung zu widmen, sie zuerst und zunächst auszuarbeiten und mir einzeln zuzusenden. Es hat gerade dies ein ganz besonderes Interesse für mich. – Das Mißgeschick mit Ihrer Wohnung hat mich sehr geschmerzt; Sie befanden sich dort einsam und wohl, und hatten überdies sie sich nach Ihren Neigungen eingerichtet. Das verlassen zu müssen, ist wirklich höchst unangenehm, und ich nehme nicht nur den innigsten Anteil daran, sondern begreife auch ihre Niedergeschlagenheit darüber vollkommen.
Daß Ihnen meine Teilnahme tröstlich, mein Andenken wohltätig ist, und Sie gern dabei verweilen und ausruhen, wenn Ihnen, wie auch jetzt, weh ist, dafür, liebe Charlotte, kann ich Ihnen nur sehr dankbar sein. Es war mein Wunsch und meine Absicht, ich wollte nur glücklich, heilsam und wohltätig auf Sie einwirken, und es freut mich unendlich, wenn ich erkenne, daß ich das erreiche. Gestatten Sie mir denn auch jetzt diesen Einfluß auf Ihr
Gemüt, da Sie leiden und gebeugt sind. Richten Sie sich an mir auf. Ich möchte niemand lieber als Ihnen zur Stütze sein. Leben Sie für heute herzlich wohl, und erlauben Sie mir die Wiederholung meiner Bitte, sich zu beruhigen. Halten Sie den Glauben an die Treue meiner innigsten, liebevollsten Teilnahme fest, womit ich Ihnen stets angehöre. Ihr H.
Berlin
, den 30. März 1823.
I hr Brief vom 19. dieses, liebe Charlotte, hat mich bekümmert, da er in großer und sichtbarer Niedergeschlagenheit geschrieben war; es hat mich aber gefreut zu sehen, daß er gegen das Ende hin heiterer wird, weil das ein sicheres Zeichen ist, daß das ruhige Schreiben, das stille Gespräch mit dem, von dem Sie wissen, daß er immer gleichen Anteil an Ihnen nimmt, eben jene wohltätige Wirkung auf Sie ausgeübt hat. Darum hoffe ich auch, werden Sie nicht bei dem Vorsatz des Verstummens bleiben, sondern fortfahren, wie bisher, zu schreiben. Jener Vorsatz, den ich überhaupt nur für augenblicklich halten will, kann Ihnen nur von einer düsteren Stimmung eingegeben sein. Es ist sehr liebevoll von Ihnen, daß Sie, wie Sie sagen, mein Leben nicht durch Ihre Niedergeschlagenheit stören wollen. Allein, weiß ich sie darum weniger, wenn ich sie in Ihrem Verstummen erkenne, und muß sie mich denn
nicht gerade darum mehr beunruhigen, weil ich den Grad, die Farbe, die Art derselben weniger kenne? Sie können versichert sein, daß ich immer den herzlichsten und mitfühlendsten Anteil an Ihnen und allem, was Ihnen begegnet, nehme, und daß ich auch auf dieselbe Weise den Unfall ansehe, daß Sie gerade jetzt, und überhaupt, eine Ihnen zu bequemer und lieber Gewohnheit gewordene Wohnung aufgeben müssen. Allein ich möchte Ihnen doch, liebe Charlotte, bei einem solchen Falle mehr Stärke, mehr innere, äußeren Unfällen entgegenstrebende Heiterkeit wünschen, da Ihnen so vieles zum inneren Genuß bleibt. Es soll dies gewiß auch nicht der fernste und leiseste Vorwurf sein, ich möchte lieber alles, als Ihnen im mindesten weh tun. Aber es ist einmal meine Art, zu denen, mit denen ich vertraulich umgehe, durchaus und ganz wahr zu reden, unverhohlen zu sagen, was mir nicht zu billigen scheint, und ihnen die Vorstellungen zu machen, durch die sie meiner Überzeugung nach in sich stärker, fester und dadurch selbständiger und minder abhängig von äußeren Zufälligkeiten werden. Also seien Sie mir um dasjenige, was ich Ihnen hier sage und sagen werde, nicht böse. Sehen Sie es auch nicht als etwas an, das der leicht sagen kann, der selbst nur in glücklicher und genügender Lage vor ähnlichen Unfällen sicher ist. Es kommt nicht auf die äußere Ursache an, von welcher der Schmerz oder die
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