Briefe an eine Freundin
höchst erfreuliche und wirklich erquickende Idee ist. Es gibt nichts so Selbstisches und Herzloses, als wenn Vornehme und Reiche mit Mißfallen, oder wenigstens mit einem gewissen verschmähenden Ekel auf Sonn- und Feiertage zurückblicken. Selbst die Wahl des siebenten Tages ist gewiß die weiseste, welche hätte gefunden werden können. So willkürlich es scheint und bis auf einen Punkt auch sein mag, die Arbeit um einen Tag zu verkürzen oder zu verlängern, so bin ich überzeugt, daß sechs Tage gerade das wahre, den Menschen in ihren physischen Kräften und in ihrem Beharren in einförmiger Beschäftigung angemessene Maß ist. Es liegt noch etwas Humanes auch darin, daß die zur Arbeit dem Menschen behilflichen Tiere diese Ruhe mitgenießen. Die Periode wiederkehrender Ruhe über die Maße zu verlängern, würde ebenso unhuman als töricht sein. Ich habe dies sogar einmal an einem Beispiel in der Erfahrung gesehen. Da ich in der Revolutionszeit einige Jahre in Paris war, so habe ich dort es erlebt, daß man auch diese Einrichtung, sich an die göttliche Einsetzung nicht kehrend, dem trocknen und hölzernen Dezimalsystem untergeordnet
hatte. Der zehnte Tag erst war es, was wir einen Sonntag nennen, und alle gewöhnliche Betriebsamkeit ging neun Tage lang fort. Wenn dies eigentlich sichtbar viel zu viel war, so wurde von mehreren, so viel es die Polizeigesetze erlaubten, der Sonntag zugleich mitgefeiert, und so entstand wieder zu vieler Müßiggang. So schwankt man immer zwischen zwei Äußersten, wie man sich von dem regelmäßigen und geordneten Mittelwege entfernt.
Wenn dies nun aber bloß nach schon vernunftgemäßen und weltlichen Betrachtungen hiermit der Fall ist, wie anders stellt sich noch die Sache nach den religiösen Beziehungen dar; dadurch wird die Idee, wie der Genuß der Feiertage, zu einer Quelle geistiger Heiterkeit und wahren Trostes. Die großen Feiertage sind überdies mit so merkwürdigen Geschichtsereignissen verbunden, daß sie dadurch eine besondere Heiligkeit erhalten. Es ist gewiß die angemessenste Feier dieser Tage, in der Bibel selbst, in allen vier Evangelisten, die Erzählung derjenigen, auf welche sich das Fest bezieht, zu lesen, wie Sie mir schreiben, daß Sie zu tun pflegen seit vielen Jahren. In den Evangelisten ist namentlich die Übereinstimmung in der Erzählung ebenso merkwürdig als die Art, wie die Erzählung der einzelnen voneinander abweicht. Die Übereinstimmung bürgt für die Treue und Wahrheit, und in ihr liegt das Gepräge des Geistes, in dem alle diese unmittelbaren
Zeugen, die Christus selbst sahen und begleiteten, schrieben. Allein dieser Geist, ob er gleich ein Geist der Einheit war, der alle beseelte, hinderte doch nicht, daß sich nicht die eigentümliche Echtheit und Schönheit jedes einzelnen Erzählers hätte gehörig entfalten und darstellen können. Wirklich kann man, wenn man gewohnt ist, die vier Evangelisten oft zu lesen, nicht leicht verkennen, von welchem eine Stelle ist, wenn man nur irgendeine solche auswählt, in der sich das Charakteristische einigermaßen zeigen läßt. Es scheint mir auch aus Ihrem letzten Briefe, wie ich schon öfter bemerkt zu haben glaube, daß Sie dem Evangelium Johannis den Vorzug geben. Dieser Ausdruck ist zwar nicht passend, da in diesen Schriften mit Recht alles gleich geachtet werden muß. Allein es ist doch natürlich, daß der eine Erzähler das Herz und die Empfindung auf eine andere Art als der andere anspricht, und alsdann läßt sich auch nach Individualitäten ein Unterschied im Eindruck festsetzen. Ich teile ganz Ihre Meinung hierüber. Es ist gerade im Johannes, wenn man es so nennen darf, etwas vorzüglich Seelenvolles.
In dem, was Sie über das Glück sagen, haben Sie mich doch einmal mißverstanden, wie das ja auch bei den meisten und großen Übereinstimmungen unter uns manchmal nicht anders sein kann. Was ich darüber denke, wende ich übrigens nur für mich an. Ich finde es für mich tröstend und ausreichend. Ich liebe es, auf mir
selbst zu stehen, und entbehre lieber, als ich an Hoffnungen hänge, die auch fehlschlagen können. Jeder mag darin seine Weise haben. Mit innigster Teilnahme Ihr H.
Tegel
, den 23. Mai 1827.
S ie haben mir, liebe Charlotte, mit Ihrem Brief vom 12., 13. und 14. d. M. eine große Freude gemacht, für welche ich Ihnen herzlich danke. Ich habe mit großem Vergnügen daraus ersehen, daß Sie wohl und heiter sind und das schöne und wirklich ungewöhnlich
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