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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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kann, noch absprechen wird, sie besitzen viele und selbst gelehrte Kenntnisse. Im Gebiete der Wissenschaften ist ihnen wenig fremd; sie haben alles gelesen, was in die neuere und frühere Zeit fällt, und selbst die Schriften und Schriftsteller der Vorzeit sind ihnen bekannt, und ihre Unterhaltung ermüdet, und ihre Briefe sind kaum zu lesen. Man fragt wohl, woran das liegt, und die Antwort ist nicht leicht. Gewiß aber ist die Sprache ein Haupterfordernis, und sie ist nicht allen verliehen und in der Tat mehr angeboren als angebildet. Sie haben die Sprache wohl das Kleid der Seele genannt. Es ist das eine ungemein richtige
Bezeichnung, die mir sehr gefallen hat. Ihnen, liebe Charlotte, ist die Sprache vor vielen anderen geworden, und wenn auch, wie Sie wohl gesagt haben, Sie mit der neuen, modernen Lektüre unbekannt geblieben sind, zu der Ihnen keine Zeit übrig blieb, indem Sie auch nicht durch Ihre Neigungen dahin gezogen wurden, so hat Ihnen das garnicht geschadet, vielleicht ist das Eigentümliche Ihnen dadurch gerade mehr erhalten. Ich selbst bin auch ganz unbekannt mit diesen Büchern. Es ist aber unverkennbar, daß Sie bei früherer, größerer Muße nur unsere besten Schriften gelesen, ja mit ihnen gelebt haben, so hat sich Charakter und Denkweise zugleich mit Sprache und Stil gebildet. Leben, Wärme und Feuer ist in Ihrer Sprache, die dabei immer einfach und natürlich und nie gesucht oder schwülstig ist. Ich habe Ihnen schon oft Ähnliches gesagt, ohne mich einer Schmeichelei schuldig zu machen. Die Tatsache hegt in jedem Ihrer Briefe und in jedem Heft Ihrer Biographie. Es hat mich garnicht überrascht, daß Sie mir sagen, wie Sie schon sehr früh die Neigung gehabt, in
»ernsthafte«
Korrespondenz zu treten, die nicht Erzählung von erlebten Begebenheiten, sondern Betrachtungen, Gedanken und dergleichen enthalte. Jede Gelegenheit dazu haben Sie schon als Kind mit einer Art Leidenschaft ergriffen, und Ihre empfangenen Briefchen, wohl geordnet, mit Wichtigkeit bewahrt. Früh schon, wohl mit zwölf Jahren, wären Ihnen manche
Briefe übertragen, z. B. in der Familie, auch die Krankenberichte an den verwandten Hausarzt. Überhaupt bemerken Sie, wären Ihnen unter allen Beschäftigungen die mit Crayon und Feder die liebsten gewesen, ob Ihnen doch auch eine vielleicht seltene Kunstfertigkeit in weiblicher Arbeit angeboren sei; gewiß angeboren meinen Sie, da Sie nie in irgend etwas Unterricht bekommen oder auch bedurft haben, da der scharf unterscheidende Blick Ihres Auges hinreichend gewesen, Sie zu belehren. (Diese Fähigkeit, bemerken Sie, wäre in dem letzten Teil Ihres Lebens von der größten Wichtigkeit für Sie geworden.) Ob nun dies Talent oder Kunstfertigkeit Sie auch erfreut habe und Ihnen viel Lob gewonnen, hätten Sie sich doch noch lieber Ihrem kleinen Schreibtisch zugewendet und Auszüge aus allen Büchern gemacht, mit denen Sie nach und nach bekannt geworden.
    Ich rufe Ihnen, liebe Charlotte, diese Selbstschilderungen aus einem Heft Ihrer Biographie nicht ohne Absicht zurück. Die frühe Übung im Schreiben mag beigetragen haben, Ihnen eine ungewöhnliche Leichtigkeit, Fertigkeit, Gewandtheit, Richtigkeit und Gefälligkeit des Ausdrucks zu geben, nicht weniger aber sind auch die intellektuellen Kräfte erforderlich, die als Grundlage jenen den Wert geben.
    Durch alle diese, sich stets erneuernden Bemerkungen ist schon mehr als einmal der Gedanke in mir erregt, den ich Ihnen heute
aussprechen will, über den Sie lachen werden, der aber mein Ernst ist. Hören Sie mich denn aufmerksam an, liebe Charlotte. Ich weiß, wie Sie in jener, nun schon lange vergangenen Zeit, nach den Ihnen leider unersetzt gebliebenen Vermögensverlusten, ganz niedergebeugt waren. Ich habe es nicht vergessen, wie Sie damals mit sich, Verhängnis und Entschlüssen kämpften und endlich, da Sie etwas ergreifen mußten, die Kunstarbeit wählten, mit der Sie Ihre Neigung in einige Harmonie zu bringen dachten. Ich habe nicht vergessen, wie Sie nun unermüdet allen Fleiß und Nachdenken anwendeten und sich so eine seltene Geschicklichkeit gewannen, so daß Ihre Fabrikate den ausländischen gleichgestellt, sehr gesucht und versendet wurden. So gelang es Ihrer Anstrengung und Ausdauer, sich eine unabhängige Selbständigkeit zu schaffen, die Ihnen noch die Freiheit gab, nach Ihrer Neigung ein halb ländliches Leben zu führen. Es macht Ihnen viel Ehre und erregt meine volle und wahre Achtung. Nicht allein das Talent weiß ich

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