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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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schöne Frühjahr genießen. Sie wundern sich nicht mit Unrecht, daß ich dieses Jahr später, als es die Jahreszeit zu erlauben schien, hierher gegangen bin. Indes pflege ich gewöhnlich erst im Juni die Stadt zu verlassen. Es ist jetzt sehr schön hier, und eigentlich war es vor acht Tagen noch schöner. Es blühte da der lila oder spanische Flieder, der gerade hier in großer Menge und Schönheit ist; er gibt für Auge und Geruch dem Garten immer einen großen Reiz. Ich entbehre das indes wenig, denn ich kann nicht sagen, daß ich gerade auf einzelne Blumen sehr viel hielte. Die ganze Gartenkunst läßt mich ziemlich gleichgültig. Ich suche die großen Bäume, und ziehe noch mehr die eines freien Waldes den gepflanzten vor, und mein Vergnügen am Landleben ist mehr das freie und weite Herumgehen in einer angenehmen Gegend, als das Bekümmern um
Pflanzungen und Blumenanlagen. Dies weite Herumgehen und die Freude an Bäumen habe ich nun hier sehr. Um mein Haus unmittelbar herum sind schöne, alte und doch noch in voller Kraft stehende Bäume in bedeutender Menge, und will ich weiter gehen, so habe ich dicht hinter meinem Park einen großen, dem König gehörenden Wald. Die Bäume haben darin etwas so Schönes und Anziehendes, auch für die Phantasie, daß, da sie ihren Ort nicht verändern können, sie Zeugen aller Veränderungen sind, die in einer Gegend vorgehen, und da einige ein überaus hohes Alter erreichen, so gleichen sie darin geschichtlichen Monumenten und haben doch ein Leben, sind doch wie wir, entstehend und vergehend, nicht starr und leblos wie Fluren und Flüsse, von denen sonst das im vorigen Gesagte in gleichem Maße gilt. Daß man sie jünger und älter und endlich nach und nach dem Tode zugehend Geht, zieht immer näher und näher an sie an. Gewiß aber ist es, um diesen Eindrücken offen zu bleiben, notwendig, von Kindheit an oft und anhaltend auf dem Lande gewesen zu sein. Nur auf diese Weise verschwistern sich Gedanken und Empfindungen mit den uns in der Natur umgebenden Gegenständen. Sonderbar aber ist es, daß meine Liebhaberei nur auf die Bäume geht, die, da sie keine eßbare Frucht tragen, gewissermaßen wilde heißen können. Obstbäume haben höchstens in der Blüte einen Reiz für mich. Es gibt zwar sehr große, und
deren Wuchs in der Tat malerisch ist. Aber sie sagen mir nichts, ohne daß ich mir weiter einen Grund davon angeben könnte. Es liegt indes vermutlich darin, daß man die Obstbäume gewöhnlich nahe an Gebäuden findet, oder daß sie doch immer die Kunst und Sorgfalt des Menschen verraten, da die Seele und die Einbildungskraft die freie Natur fordert, an welcher der Mensch nichts gemodelt und nichts geändert hat. Es ist schon schlimm genug, daß so oft Bäume, die wirklich auf große Schönheit Anspruch machen können, durch Menschenhände und ewiges Behauen ganz um ihren freien und großartigen Wuchs gebracht werden. So ergeht es z. B. den Weiden. Sie werden, wenn man sie frei und ungehindert wachsen läßt, zu starken, hohen und malerisch schönen Bäumen. Noch in meiner Kindheit gab es in Berlin selbst drei solche wirklich wundervolle Bäume, die aber auch jetzt nicht mehr vorhanden sind. Aber ich sehe, daß ich zwei volle Seiten über meine Liebhaberei an Bäumen geschrieben habe. Wüßte ich nicht, wie gut Sie sind, liebe Charlotte, so müßte ich fürchten, Sie zu ermüden, so aber rechne ich darauf, daß Sie gern lesen, was ich schreibe, meist meinen Ideen gern folgen und sie in sich fortspinnen. Mir ist es ein sehr angenehmes Gefühl, mich so vor Ihnen ganz zwanglos gehen zu lassen, und zu Ihnen zu reden wie zu mir selbst. Aber ich habe Ihnen noch das eine und andere heute zu sagen, so werden
Sie diesmal noch einen längeren Brief als gewöhnlich erhalten.
    Ihr letzter Brief hat mir darin besonders Freude gemacht, daß Sie meine Meinung teilen in dem, was ich über den Wert einer schriftlichen Mitteilung, wie wir sie in unserm Briefwechsel aufgenommen, sagte. Auch haben Sie darin vollkommen recht, daß ein solcher brieflicher Umgang, der nie unterbrochen wird, zu einer gegenseitigen tieferen Kenntnis des Charakters führt. Wenn es gewiß nur wenige sind, die an einem Briefwechsel, wie der unsrige ist, Gefallen finden würden, so möchten ihn auch vielleicht wenig Frauen führen können. Es sind dazu doch Individualitäten erforderlich, die nicht jedermanns Sache sind, vor allen auch eine Innerlichkeit des Lebens. Ich kenne Frauen, denen niemand Geist absprechen

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