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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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man ihn als Oligarchen bezeichnet: »Dieses herabsetzende Wort, was bedeutet es schon?« Aber die Härte und Skrupellosigkeit, mit der er sich im Dezember 1995 Jukos sichert, muss jeden der anderen Neokapitalisten, die sich Staatsvermögen zu Schleuderpreisen unter den Nagel gerissen haben, vor Neid erblassen lassen.
    Der Staat braucht damals dringend Geld. MBC schafft es, dass seine Bank die Versteigerung der Jukos-Aktienmehrheit durchführen darf – und trickst ausländische Interessenten wie inländische Konkurrenz aus. Für die Aktienmehrheit bei Jukos hat Chodorkowski nicht mehr als 410 Millionen Dollar bezahlt – ein Spottpreis, den er zudem größtenteils nicht bar auf den Tisch legt, sondern über zukünftige Öllieferungen an den Staat finanziert. Politik interessiert den neuen Zaren des schwarzen Goldes nur in dem Maß, wie sie seine Geschäfte fördert oder behindert. Gemeinsam mit Oligarchen-Kollegen organisiert er Geheimtreffs, in einer Villa auf den Moskauer Sperlingsbergen. Man kennt sich, schätzt sich – und belauert sich: Beresowski, Gussinski, Chodorkowski & Co., die allesamt durch zweifelhafte Rohstoff-, Firmen-Deals und Bankengründungen zum großen Geld gekommen sind, vereinbaren gemeinsames Handeln. Und sie schließen einen Waffenstillstand untereinander, angeblich sogar schriftlich. »Kann sein, dass es
so war«, sagt MBC, und dann lächelnd: »Manchmal habe ich Gedächtnislücken.«
    Anfang 1996 wird die Situation für die Oligarchen prekär. Die Unzufriedenheit im Land ist groß, weil sich der Lebensstandard der meisten Russen dramatisch verschlechtert hat; Jelzins Chancen, die anstehende Wahl zu gewinnen, sind gering, eine Rückkehr der Kommunisten wird immer wahrscheinlicher. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos umwerben westliche Wirtschaftsführer und Politiker KP-Chef Gennadi Sjuganow schon wie einen Sieger. George Soros, Investor mit besonderem Gespür für Entwicklungen in Russland, rät Chodorkowski, die Koffer zu packen und in den Westen zu fliehen.
    In Jelzins Umfeld denkt man an Verfassungsbruch, will die Wahl absetzen, politische Gegner inhaftieren. Der oft kranke und gelegentlich alkoholisierte Präsident schwankt. Da ergreift der »Club der Oligarchen« die Initiative. »Es war eine bewusste politische Entscheidung unsererseits«, sagt Chodorkowski, der bei den entscheidenden Sitzungen im Kreml dabei war und damals gern ausführlich von den aufregenden Stunden erzählt. »Wir schenkten Jelzin reinen Wein ein. Ihre Berater führen Sie in die Irre und betrügen Sie, sagte ich. Er wurde weiß wie die Wand, hörte uns aber weiter zu.«
    Die Oligarchen organisieren und finanzieren Jelzins Wahlkampf. Sie stellen ihm ihre Massenmedien praktisch exklusiv zur Verfügung, heuern amerikanische PR-Profis an. »Man kann uns vorwerfen, dass wir Standards der Fairness verletzt haben, aber angesichts der Alternative haben wir das Beste für unser Land getan«, sagt MBC. Sicher auch das Beste für sich selbst. Jelzin gewinnt, die Tycoons und
der Präsident sind nun zusammengeschweißt. Seine Macht hängt fest an ihrem Reichtum, an ihrer Unterstützung. Je mehr Jelzin körperlich zerfällt, desto wichtiger werden die Wirtschaftsbosse – und desto dreister. Beresowski plädiert im Oligarchen-Kreis für eine »Regierung der Konzerne«. In einem Interview sagt er am 22. März 1998 in Gussinskis Fernsehsender NTW, die Suche nach einem Nachfolger für den Präsidenten sei in Gang, und es gebe »enorme Chancen, neue Leute an die Spitze zu bringen«. Jelzin hat da laut Verfassung noch zwei Jahre im Kreml vor sich.
    Am Tag nach dem Beresowski-Interview feuert der Präsident seinen Premier Viktor Tschernomyrdin, und in rascher Folge kommen »neue Leute« in hohe Ämter. Am 16. August 1999 wird der weitgehend unbekannte Wladimir Putin Premier, nach Jelzins dramatischem Verzicht aufs Amt in der Silvesteransprache der amtierende Präsident. Er gewinnt dann im März 2000 auch die Wahl. Ein Mann, ausgesucht von den Oligarchen, eine Marionette von ihren Gnaden? »Der Name Putin wurde in unserem Kreis schon mal diskutiert, ich kenne ihn seit seinen KGB-Zeiten«, sagt Chodorkowski. Er sei aber an Putins Aufstieg oder gar der Ernennung nicht beteiligt gewesen. Er habe sich von den Sitzungen des »Clubs« schon vor Jahren zurückgezogen. »Beresowski und Gussinski wurden immer mehr zu Politikern. Ich wollte ein Mann der Wirtschaft bleiben.«
    Und was für einer. Schon im August 1998, als der Rubel ins Bodenlose

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