Briefe aus dem Gefaengnis
fällt und die russische Wirtschaft über Nacht wieder am Boden zu liegen scheint, startet er kaltblütig einen großen Coup. Verhindert nicht, dass die Menatep-Bank pleitegeht, die Jukos-Aktien abstürzen. Erklärt seinen westlichen Gläubigern, unter anderem der Düsseldorfer
WestLB, er könne die ihm gewährten Darlehen nicht voll zurückzahlen. In Panik geben die Gläubiger sich mit etwa der Hälfte der geliehenen 236 Millionen US-Dollar zufrieden. Sie hätten besser gewartet: Im nächsten Jahr und bei gestiegenen Ölpreisen ist Chodorkowski schon längst wieder flüssig. Sollte jemand klagen und Akten einsehen wollen, so erlebt er einen herben Rückschlag. Unter mysteriösen Umständen stürzt im Mai 1999 ein Lastwagen mit 607 Kisten von Dokumenten der Menatep-Bank in den Fluss Dubna.
Auch bei Jukos passieren merkwürdige Dinge. Chodorkowski gibt neue Aktien aus und verringert so die Macht seines amerikanischen Großinvestors Kenneth Dart. Die neuen Papiere und viele alte Aktien geraten an undurchsichtige Offshore-Gesellschaften, die Chodorkowski angeblich nur zu diesem Grund gegründet hat – praktisch die gesamten Firmenanteile wandern so ins Ausland. Für westliche Kreditgeber bleibt in Russland nur der Zugriff auf eine leere Hülle. »Wie man eine Ölgesellschaft stiehlt« nennt der amerikanische Analyst James Fenkner die Aktion; Chodorkowskis Vorgehen sei »unglaublich unverschämt« gewesen. Doch Männer wie der US-Milliardär Dart verstehen, wenn sie verloren haben. Er lässt sich auszahlen.
MBC ist seinen letzten ernsthaften Konkurrenten um die Macht bei Jukos los. Und wandelt sich, fast über Nacht, vom Saulus zum Paulus. Als hätte er nie von schmutzigen Tricks gehört oder sie gar angewendet, predigt er nun Durchlässigkeit, Regeltreue und westliches »Corporate Governance« für seinen Konzern. Der Chef selbst reist zu den Arbeitern nach Sibirien. Mit aufgekrempelten Hemdsärmeln wirbt er um ihr Vertrauen und drängt darauf, in der
Ölstadt Neftejugansk neue Wohnblocks und vorbildliche Sozialeinrichtungen zu bauen. Jukos zahlt jetzt seinen Aktionären Dividenden, lässt seine Bilanzen von dem internationalen Marktführer PricewaterhouseCoopers kontrollieren.
So schnell, wie sich westliche Unternehmer und Banken von dem »Schmuddelkind« MBC abgewandt haben, so schnell sind sie wieder zurück, um mit ihm Geschäfte zu machen. »Das Big Business hat eben keine Zeit für Larmoyanz«, sagt der Jukos-Chef mir in seinem Büro unter einem Porträt Katharinas der Großen. In London hat MBC den ehemaligen Außenminister Lord Owen als Jukos-Repräsentanten angeheuert, israelische Regierungsmitglieder hofieren ihn bei Jerusalem-Besuchen: Das ist der Umgang, den der Jukos-Boss sucht. Neben seinen Spenden für russische Schulen und Waisenhäuser gibt sich MBC nun auch als Kunstmäzen. Prinz Charles eröffnet im Herbst 2000 die von Jukos mitfinanzierten »Eremitage-Räume« im Londoner Museum Somerset House. »In Würdigung der Großzügigkeit des Spenders« wird einer dieser Räume nach Michail Chodorkowski benannt. Er ist angekommen bei den Großen. Er muss nun nicht mehr wie die gewöhnlichen russischen Neureichen an der Côte d’Azur Urlaub machen: MBC leistet es sich, seine Ferientage im unglamourösen Finnland zu verbringen oder gar patriotisch in der Heimat. Und er verschlingt dabei Science-Fiction von seinen Lieblingsautoren Arthur C. Clarke und Boris Strugazki.
Schon damals gibt es Gerüchte, Präsident Putin suche nur nach einem Vorwand, um gegen den mächtigen Jukos-Boss vorzugehen. Den Oligarchen Gussinski, der dem Kreml-Chef mit seinem regierungskritischen Medien-Imperium
gefährlich zu werden drohte, haben Anteilseigner mit wirtschaftlichen Tricks, unterstützt vom Kreml, um seinen Einfluss gebracht; Gussinski lebt heute in Spanien. Den Oligarchen Beresowski, der Putin im Wahlkampf noch geholfen hat, will die Staatsanwaltschaft wegen Wirtschaftsvergehen verhaften. Putin stört besonders Beresowskis Kritik am brutalen Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien; der Tycoon lebt heute in London. »Beresowski – wer ist das?«, rief Putin 2002 bei einer Pressekonferenz. Und dann blickte er in die Runde, die Augen lauernd und rücksichtslos wie die eines Panthers beim Sprung auf die Beute.
Zum Abschied fragt Chodorkowski mich damals: »Na, haben Sie die Jukos-Aktien gekauft, die ich Ihnen damals so ans Herz gelegt habe?« Als ich verneine, betrachtet er mich fast mitleidig – und beginnt zu
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