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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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Prozent seines Vermögens), und die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Oder das Opfer kann eine andere Person als Sündenbock einsetzen. Unterstützung beim Ausfüllen der notwendigen Formulare bietet das System selbst. Es weiß, wie man das macht. Eine Klage ablehnen? Auch das wäre ein fehlerhaftes Produkt oder »privates Interesse«. Gegen Letzteres kämpft das System durchaus, wenn auch nicht immer erfolgreich.
3. Und zuletzt – die Prozessphase. Sie legitimiert im Laufe einer Gerichtsverhandlung die Entscheidungen, die in den bisherigen Phasen getroffen wurden.
    Es gibt einen alten Witz: Ein Richter wird gefragt: »Könnten Sie einen Unschuldigen verurteilen?« Antwort: »Niemals! Ich würde ihm eine Bewährungsstrafe geben!« Das ist gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Das System ist so gebaut, dass ein Richter, der tatsächlich einen Angeklagten freispricht, riskiert, nicht nur selbst aus dem System ausgestoßen zu werden, sondern auch als »fragwürdig« und »zweifelhaft« – je nachdem wie weit die Korruption reicht – abgestempelt zu werden. Für die Richtergeneration, die vom System aufgezogen und genährt worden ist und die sich selbst weniger als Pfeiler des Rechts, sondern vielmehr als Diener der Vertikale der Macht sieht, ist das ein ernst zu nehmendes und hohes Risiko. Daher gehören Freisprüche (außer durch ein Geschworenengericht) in das Reich der Mythen und Legenden, und daher ist ihr Anteil auch so verschwindend gering (0,8 Prozent).
    Die Rolle der Strafvollzugsbehörde (FSIN) ist ausschließlich die eines Ersatzspielers und schwankt zwischen unterstützender
Gleichgültigkeit und aktiver Folter. Der Modus der aktiven Folter kann ins Spiel gebracht werden, wenn eine Anweisung von sehr weit oben kommt (aus der Ebene der Generalität), oder als eine Art persönlicher Gefallen, den der eine Obere dem anderen erweist, oder aber, wenn die Gefängnisaufseher eine Kleinigkeit für sich abzweigen möchten. Zum Beispiel die Wohnung des Häftlings (das ist eigentlich der häufigste Fall).
    Das System legt dem Gesetz gegenüber ein äußerst ungnädiges und verächtliches Verhalten an den Tag, daher wäre es verrückt, seine Hoffnungen auf das Gesetz zu setzen. Es gibt jedoch einige Besonderheiten.
    Das System legt sehr viel Wert darauf, dass die formalen Anforderungen der Strafprozessordnung genauestens erfüllt werden.
– Sie mögen Sie schlagen, Ihnen Medikamente oder medizinische Behandlungen vorenthalten, Sie plump oder spitzfindig beschimpfen – immer werden Sie auf der gepunkteten Linie unterschreiben, dass Sie ordnungsgemäß über Ihr Recht, sich mit einer Aussage nicht selbst belasten zu müssen, informiert wurden.
– Sie werden Sie daran hindern, Ihrer Prozessakte Dokumente beizufügen, die Ihre Unschuld beweisen. Doch sie werden Ihnen ordnungsgemäß all den Müll und die dreisten Fälschungen zur Kenntnis geben, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Wiederum gegen Ihre Unterschrift, die belegt, dass Sie alles ordnungsgemäß erhalten haben.
– Bei Durchsuchungen beschlagnahmte Papiere werden vielleicht nicht in der Prozessakte zu finden sein, während
andere, die von weiß Gott woher kommen, auftauchen. Und die Tatsache solch unkonventioneller »Dokumentenbewegungen« wird die Justizbeamten nicht einmal mit der Wimper zucken lassen. Die Begriffe »gerecht und fundiert« 79 haben – wie das amerikanische »How do you do?« – ihre ursprüngliche Bedeutung schon lange verloren.
    Der einzige Punkt im Strafgesetzbuch, an den das System sich hält, ist die Höchststrafe. Sie werden Ihnen nie mehr als angemessen geben (und »angemessen« heißt für Wirtschaftsverbrecher, die zum ersten Mal straffällig werden, 22,5 Jahre, vor allem seit der »Geldwäsche«-Artikel 174 auf so ziemlich jedes »sehr gefährliche« Wirtschaftsverbrechen angewendet wird).
    Sollte jemand denken, man könne einer Strafverfolgung in der Russischen Föderation entkommen, nur weil es den Vorfall oder das Corpus Delicti gar nicht gab – dann ist er ein hoffnungsloser Idealist.
    Wenn es im Strafgesetzbuch »ohne Gegenleistung« heißt, während Sie das fragliche Objekt für eine Million gekauft haben und sich deshalb auf der sicheren Seite wähnen, dann heißt das nur, dass Sie schlecht informiert sind. Ein Experte (zum Beispiel ein Angestellter des Außenministeriums) wird keine Schwierigkeiten haben, das Objekt auf einen Preis von 1,1 Millionen (oder je nach Notwendigkeit, auf

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