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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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im heutigen Russland getroffen wird, wer soll diese Modernisierung umsetzen?
    Dass es nicht der korrumpierte Teil der Bürokratie und die ihr nahestehenden Geschäftsleute sein können, ist klar. Das hat Medwedew zugegeben.
    Die Elite des Polizeiapparats auch nicht. Sie ist für die Sicherheit da und nicht, um etwas Neues aufzubauen. Alle Versuche, diese unvereinbaren Aufgaben miteinander zu verbinden, haben weder zur Sicherheit noch zum Aufbau von etwas Neuem beigetragen.
    Es liegt auf der Hand: Eine einzelne Führungskraft, und sei sie noch so stark, die niemand hat, auf den sie sich stützen kann, ist unmöglich imstande, eine Modernisierung in Gang zu setzen. Eine Modernisierung ist nicht das Werk von Einzelnen. Nicht Hunderte und nicht Tausende von Verbündeten aus dem bürokratischen Lager sind dieser Aufgabe gewachsen.

    Für die Durchsetzung einer echten Modernisierung braucht man meiner Meinung nach eine ganze soziale Schicht: eine regelrechte Modernisierungsklasse. Für die diese Modernisierung des Landes keine fiktive, von oben angeordnete Kampagne ist, sondern eine Frage der Existenz, der Selbstverwirklichung im eigenen Land und, wenn man so will, eine Frage des kontinuierlichen Aufstiegs zur Macht. Wenn man die historische Erfahrung unterschiedlicher Modernisierungen zusammenfasst und verallgemeinert, kann man davon ausgehen, dass die Größe der modernisierenden Klasse nicht kleiner als drei Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sein darf. In unserem Fall also nicht weniger als zwei Millionen Menschen.
     
    Als Angehörige dieser Modernisierungsklasse kommen insbesondere infrage:
– Professionelle Innovatoren, darunter Inhaber und Manager kleiner und mittlerer, in Eigeninitiative gegründeter Privatunternehmen, mit greifbaren Arbeitsergebnissen in innovativen Branchen.
– In den 1960er und 1970er Jahren geborene Wissenschaftler und Ingenieure, die ihre Ausbildung in der Sowjetunion erhalten haben, in Russland einen Beruf entsprechend ihrer Qualifikation ausüben und noch nicht endgültig die Hoffnung verloren haben, in ihrer Heimat ein Betätigungsfeld für sich finden zu können.
– Wissenschaftler und Ingenieure, die Russland in der postsowjetischen Zeit verlassen und sich im Westen betätigt haben: Ein gewisser Teil von ihnen kann zurückkehren, wenn sie Medwedews Aufruf Glauben schenken
und qualitativ neue Möglichkeiten für sich in der Heimat sehen.
– Junge Fachleute mit hohem kreativem Potenzial, die jetzt vor der schwierigen Alternative stehen: emigrieren und sich »dort« betätigen oder Medwedew glauben und »hier« bleiben.
– Recht breite Schichten der geisteswissenschaftlichen Intelligenzija, denen der Glamour und die Machtspielchen der Souveräne nicht allen Mut genommen haben, darunter in erster Linie: gute Lehrer und Journalisten.
    Modernisierer Russlands können nur eigenständig denkende Menschen sein und nicht solche, die eine parasitäre Anspruchshaltung haben. Leider haben die Eliten und der Machtapparat in den letzten Jahren im Wesentlichen die Zunahme Letzterer und das Verschwinden Ersterer begünstigt.
    Diese Gemeinschaft, die als Ganzes zum Motor der Modernisierung werden kann, will ich Modernisierungsgeneration, »Generation M«, nennen.
    Wenn Medwedew wirklich solchen Menschen – und nur solchen – eine Chance geben will, dann ist die Modernisierung kein leerer Begriff. Aber das heißt auch, dass den Präsidenten sehr schwierige Entscheidungen erwarten. Denn die »Generation M« muss das Feld säubern können und die sich an ihre Pfründe klammernden Vertreter des erwähnten Tandems von »korrumpierter Bürokratie und parasitärem Kapital« fühlbar zurückdrängen. Ist der Präsident imstande, solche Schritte zu unterstützen? Er hat uns aufgefordert, wir sollten Fragen stellen – fragen wir ihn also. Solange es keine Antwort auf diese Frage gibt, kann man schwerlich von einer ernsthaften Modernisierung sprechen.

    Noch eines. Die Vertreter der »Generation M« haben per se keine Vorliebe für die »Vertikale der Macht«. Neben vertikaler Mobilität brauchen sie unbedingt funktionierende Institutionen eines demokratischen Staatswesens und eine wirksame Zivilgesellschaft. Die bekommen wir aber nicht ohne politische Reformen. Man kann nicht eine »Generation M« ausrufen und zum Gegenstand der Modernisierung machen wollen, wenn man ihr gleichzeitig eine reale Modernisierung des politischen Systems verweigert.
     
     
    Verfasser: Bürger der Russischen

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