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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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ich: es war gar kein Dämon und auch kein drachengroßes Wildschwein. Es war ein Wagen aus Eisen. Herrn Shi-shmis Haus ist in der Nähe jener Brücke, und ich bin seitdem mehrmals an der Stelle vorbeigekommen. Der Baum, fürchte ich, wird eingehen.
    Solche Wägen aus Eisen mit vier Rädern, die ganz ohne Pferde fahren und viel, viel schneller laufen als jemals ein Pferd, gibt es hier in überaus gefährlichen Mengen. In jedem Wagen sitzt in der Regel einer von den Großnasen, der an einem weiteren Rad im Inneren des Wagens dreht und damit recht und schlecht den Wagen lenkt. Sie fahren so schnell, daß sie, ehe Du Dich’s versiehst, links verschwunden sind, noch ehe sie rechts auftauchen. Auf all den Steinstraßen hier kann kein Mensch gehen, so zahlreich sind diese Eisen-Wagen. Sie rasen kreuz und quer durcheinander, und ich frage mich, wie sie das machen, daß sie nicht dauernd zusammenstoßen. Wahrscheinlich haben sie ein Mittel, das sie voneinander wegmagnetisiert. Sperlinge fliegen ja auch in verwirrenden Scharen durcheinander um die Bäume, und noch nie habe ich gesehen, daß zwei Sperlinge mit den Köpfen aneinandergestoßen wären. So ähnlich stelle ich mir das mit den Eisen-Wagen vor. Aber auch das werde ich zu erkunden versuchen. Sie nennen die Eisen-Wagen übrigens: A-tao. Das ist eines der ersten Wörter der Lärm-Sprache, die ich gelernt habe.
    Selbst wenn aber keines dieser A-tao in Sicht ist, wagt niemand, die Straßen zu betreten. Diese Teufelsdinger sind so schnell da, daß auch dem Behendesten keine Zeit bleibt, auf die Seite zu springen. Man hat deshalb auf beiden Seiten der Straßen etwas erhöhte eigene kleine Straßen angebracht, auf denen man einigermaßen sicher gehen kann. Auf diesen kleinen Geh-Straßen drängen sich dann auch die Leute und machen Lärm. Die Geh-Straßen sind im Gegensatz zu den Eisen-Wagen-Straßen sehr schmal. Ich schließe daraus, daß die Leute, die in den A-tao sitzen, die Stadt und wohl das ganze Land regieren und daß die Menschen, die gehen, nichts zu sagen haben.
    Aber zurück zur Reihenfolge der damaligen Ereignisse am ersten Tag: – ich richtete mich auf. Als ich den Sachverhalt mit dem am Baum festgebissenen A-tao erkannt hatte, gewahrte ich eine Anzahl von anderen solchen A-tao-Wagen, die am Rand der Straße festgemacht waren. Ich wollte aufstehen und weggehen, denn ich erkannte sogleich, daß man womöglich mir Auffallendem, wenngleich Harmlosem, die Schuld daran zuschieben könnte, daß jener Eisen-Wagen – der nun dumm dastand und qualmte – mittels des Baumes seine Fahrt beendet und den Baum womöglich beschädigt hatte. Aber zwei Riesen in grünen, gleichartigen Kleidern, an die eine übermäßige Anzahl von silbernen Knöpfen genäht war, hatten mich, wie ich erkennen mußte, beobachtet und hielten mich sogleich fest. Ohne Zweifel handelte es sich um kaiserliche Schergen. Der Ton, in dem sie mit mir brüllten – ich verstand natürlich kein Wort –, war mir sogleich geläufig. Es war dies die erste Ähnlichkeit mit der mir vertrauten Welt, und es heimelte mich fast an, so unangenehm der Griff auch war, mit dem sie mich anfaßten.
    Ich sagte zu den Schergen: »Ehrwürdige, überaus alte kaiserliche Schergen! Ich bin der nichtswürdige, ungewaschene, wenngleich harmlose Mandarin Kao-tai, Kwan der vierthöchsten Rangstufe, Ehemann zweier Nichten der erhabenen, alles überstrahlenden Majestät, der unlängst leider verblichenen Chiang-fu, vierter Lieblingsfrau des überaus glücklichen Herrschers, Sohn des Himmels, sowie Präfekt der Dichtergilde ›Neunundzwanzig moosbewachsene Felswände‹. Habe die von mir unverdiente Freundlichkeit sowie Gnade, mich unverzüglich loszulassen, andernfalls es sein könnte, daß der Freund meiner unsagbar unwerten Person, der höchst angesehene Polizei-Mandarin, dessen Vetter zu sein ich die mir in meiner moralischen Beflecktheit selber unerklärliche Ehre habe, der überaus mächtige Kwan Fa-kung, Euer sonnenstrahlengleicher Vorgesetzter, Euch leider recht ernst zu nehmende Schwierigkeiten machen könnte, die Eure nahezu unvergleichlich schönen, mit einer dem kaiserlichen Staatswald im Vorfrühling in Farbe ähnlichen Dienstmütze bekleideten Köpfe unter Umständen nicht überleben könnten.« In meiner Verwirrung hatte ich vergessen – so geht es mit der Gewohnheit, die oft die Oberhand behält, wenn die Gedanken aussetzen –, daß mein Vetter Fa-kung »hier« schon seit fast tausend Jahren tot ist und längst

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