Brigade Dirlewanger
schalt er sich. »Wie kommen wir weiter?« fragte er dann sachlich.
»Sie müssen natürlich Ihre Identität lüften …«, entgegnete Wulf-Dieter Brillmann. »Wissen Sie, ich habe ja mit der Sache nichts zu tun … aber ich habe ein paar Beziehungen zur Geheimen Staatspolizei … Kommilitonen und so … Sie verstehen doch …« Er langte in die Tasche und zog eine vorbereitete Erklärung heraus. »Hier«, sagte er, »wenn Sie das unterschreiben … wird die Fahndung nach Ihnen eingestellt … wer Sie auch sind …«
Paul Vonwegh überflog die Erklärung. Es war Propaganda übelster Art, frisiert für das Ausland. Vor seinen Augen tummelten sich die schwarzen Buchstaben wie Fliegenschwärme, aber er riß seine Energie zusammen. »Und wenn ich das nicht … unterschreiben kann?« fragte er.
Wulf-Dieter Brillmann drückte langsam seine Zigarette aus. Er lächelte noch immer. »Sie haben nicht viele andere Möglichkeiten«, erwiderte er und stand auf. »Grüßen Sie Karen …« Er überreichte Vonwegh seine Visitenkarte. »Die Entscheidung ist Ihre Sache«, setzte er hinzu. »Ich dränge nicht … ich gebe Ihnen nicht einmal einen Rat … Rufen Sie diese Nummer an … wenn Sie Ihren Entschluß gefaßt haben.« Dann gab er Paul Vonwegh die Hand. Sie war schlaff. »Alles Gute«, sagte er, hob einen Mundwinkel und setzte laut hinzu: »Heil Hitler!«
Vonwegh sah ihm nach. Dann blieb er einfach sitzen und überließ sich dem Stumpfsinn. Ein alter Herr trat ein, sah sich um, griff demonstrativ nach einer Zeitung. Jetzt, dachte der Illegale, und draußen wartet noch einer. Ich soll sie zu Karen führen, damit sie uns beide auf einmal haben. So ist es doch …
In jedem Passanten sah Vonwegh einen Spitzel. Aber es half ihm wenigstens, seine Lethargie abzuschütteln. Er hatte wieder ein kleines Ziel, etwas, wofür er kämpfen konnte. Er mußte das Mädchen schützen.
Der Mann mit der Zeitung war ihm nicht gefolgt. Zwei Soldaten, die ihm in das Gesicht gestarrt hatten, liefen seelenruhig weiter, und Paul Vonwegh ging und ging, von Osten nach Westen, von Westen nach Osten, quer durch die Gefahr, an Streifen vorbei. Er suchte Verfolger, denn er konnte nicht begreifen, daß die Falle noch nicht zugeschnappt war.
Am Spätnachmittag war er hundemüde. Noch immer nichts zu sehen. Er saß in einem Straßencafe an einem Tisch und spürte einen Blick auf seinem Gesicht. Er fuhr erschrocken hoch.
Es war ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren, lustig, arglos und brünett. »Sie gucken aber böse …«, sagte sie.
Vonwegh nickte zerstreut.
»Kummer?« fragte das Mädchen.
»Ja«, antwortete er.
»Soll ich Sie aufheitern?«
Er schüttelte den Kopf und stand auf.
»Hab's doch nicht so gemeint …«, rief ihm die Brünette schmollend nach.
Paul Vonwegh schüttelte noch drei Stunden lang imaginäre Verfolger ab. Er lief Spießruten durch seine Phantasie. Er kämpfte zwecklos gegen Schatten. Er war wie gerädert, als er sich wie ein Dieb in das Haus schlich.
Im ersten Impuls war er überrascht, als er Karen fand. Dann erst merkte er an ihrem verweinten Gesicht, was er dem Mädchen angetan hatte.
»Mein Gott …«, sagte Karen, »wo warst du den ganzen Tag?«
»Ich dachte …«, begann er auf Umwegen.
»Du hast ihm nicht getraut?« fragte sie.
Er nickte.
»Dummkopf«, rügte Karen zärtlich, »seid ihr klar gekommen?«
»Ich soll etwas unterschreiben«, erklärte er dann mit spröder Stimme.
»Und dann ist alles in Ordnung?« fragte sie weiter.
Vonwegh nickte steif.
»Na also«, schloß sie mit deutlichem Triumph.
Traut sie ihm wirklich? überlegte Paul Vonwegh. Kann ich je diese Erklärung unterschreiben? Natürlich, dachte er sich, Karens Schutz hat die Vorfahrt. Aber man darf diesem Kerl nicht trauen! Man …
»Vorsicht!« zischt Gruhnke jetzt an der Tür.
Paul Vonwegh beugt sich mechanisch über Kirchwein.
»Ach, nein …«, sagt der eintretende Oscha Weise, »die Herrschaften machen wohl schon Feierabend, was?« Er tritt an den Epileptiker heran. »Raus mit euch beiden!« befiehlt er und deutet lächelnd auf Kirchwein. »Um den kümmere ich mich selbst … Bin Wunderdoktor, klar?«
Vonwegh und Gruhnke verlassen die Baracke im Laufschritt, bis sie außer Sichtweite sind.
»Solange der Oberst da ist … legt er Kirchwein nicht um«, sagt der Berliner keuchend.
Die schwelende Unruhe, die schleichende Verzweiflung, die knisternde Hoffnung, das alles erledigt sich am späten
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