Brigade Dirlewanger
ging um ihre Köpfe. So etwas überlässt man nicht dem Wurf des Zufalls …
Man bohrt, bis der Kopf schmerzt. Wie damals. In der Nacht vor der Entscheidung.
Sie lagen nebeneinander und stellten sich schlafend. Karen atmete fest und regelmäßig. Paul Vonwegh hatte die Augen fast krampfhaft geschlossen. Sie berührten sich leicht an den Schultern.
Paul Vonwegh spürte Karens Blick und vergaß, gleichmäßigen Atem vorzutäuschen. Sie merkte es, und er atmete jetzt heftig. Ich mache alles falsch, dachte er und richtete sich auf.
Jetzt betrachtete er das Mädchen. Karen war schön und jung. Es ist ein Verbrechen, sie in meinen Fall hineinzuziehen, dachte Vonwegh. Wie tapfer sie ist, wie sehr sie noch hoffen kann! Vielleicht hat sie recht. Sie muß recht haben …
»Du schläfst doch gar nicht«, sagte sie mit der Stimme eines Kindes.
Er gab keine Antwort.
»Heuchler!« warf sie ihm vor und stieß ihn in die Seite.
Paul Vonwegh lächelte und zog sie an sich.
»Du solltest wirklich schlafen«, riet Karen, als läge es an ihm. »Weißt du … Mein Vetter … Er war schon als Kind so nett … Wir haben miteinander gespielt … Ein richtiger, kleiner Ritter war er schon mit fünf, sechs Jahren …« Und Karen dachte: Wulf-Dieter war immer schon ein Ekel, ein Egoist, ein Schreihals. Einmal warf er mir die Sandschaufel in das Gesicht und lachte mich aus. Wie kann man mit sieben schon so ein Zyniker sein, überlegte sie zwecklos. Und das ist er immer geblieben, am Gymnasium, auf der Universität.
»Das weiß ich doch alles«, sagte Paul Vonwegh, »und wer jetzt noch davon spricht …«
Sie sagten kein Wort mehr. Sie schwiegen. Auch am Morgen noch. Am Frühstückstisch standen Blumen. Karen richtete ihm ein Marmeladebrötchen. Nie habe ich sie gefragt, woher sie das nimmt, dachte Paul Vonwegh. Jeder Bissen quoll ihm im Mund. Aber er simulierte Appetit. Sein Versuch war genauso zwecklos wie ihr sprudelnder Optimismus.
Vonwegh stand einen Moment zögernd vor ihr.
»Kein Adieu …«, sagte Karen und lächelte ihn traurig an. »Ich weiß, daß du wiederkommst … Du mußt nur auch daran glauben …«
»Ja«, antwortete er, nickte und schluckte.
Er ging und spürte, daß sich Karen nicht nach ihm umdrehte. Jetzt weint sie, dachte er, als er auf der Treppe war. Er ging gewollt aufrecht, obwohl sie ihm bestimmt nicht nachsah. Als er außer Sichtweite war, schob er sich wie gelähmt weiter. Er fuhr mit dem Omnibus, stieg aus, mußte zweimal einen Anlauf nehmen, um auf das Café zuzugehen.
Dann schaffte er den Eingang. Vonwegh hatte Karens Vetter nicht einmal auf einem Foto gesehen, aber er erkannte ihn sofort, ging auf ihn zu und nickte.
»Mein Name ist Brillmann«, sagte der Mann knapp. »Und wie heißen Sie?«
Paul Vonwegh schüttelte den Kopf.
»Namen sind Schall und Rauch«, erwiderte der Staatsanwalt und lachte.
Die Stimme des jungen Mannes war nicht unangenehm. Sein Gesicht wirkte weich, fast feminin. Im ersten Impuls war Vonwegh angenehm überrascht, obwohl er sofort merkte, daß etwas an dieser lächelnden Symmetrie nicht stimmen konnte …
»Also, Sie sind das …«, begann Brillmann. »Nicht der erste Fall … Schwierig … aber nicht unmöglich …« Er bot Vonwegh eine Zigarette an. »Aber ich helfe Ihnen gerne …«
»Warum?« unterbrach ihn der Illegale.
»Wegen Karen«, antwortete er. Das Lächeln in seinem hübschen Gesicht verbreitete sich. »Wissen Sie, daß ich einmal sehr in sie verliebt war … so als Pennäler … Na, ja … Cousinen sind immer die erste Liebe …«, setzte er hinzu. »Aber wozu erzähle ich Ihnen das alles?«
Paul Vonwegh beobachtete ihn scharf. Aber der Mann benahm sich ganz natürlich. Ein paar Mal drehte er sich verstohlen zur Kellnerin um, zweimal sah er auf die Uhr. Jetzt hätten sie mich schon geschnappt, überlegte Vonwegh, falls er falsch spielte …
»Sie gefallen mir«, sagte Brillmann unvermittelt. »Ich hab' zwar sonst nicht viel übrig für … für Idealisten …« Er winkte jovial ab. »Sie halten mich sicher für einen Nazi«, fuhr er fort und rührte in der leeren Kaffeetasse herum, »aber das ist heutzutage ganz gut, wenn man dafür gehalten wird … Na ja«, sagte er wieder, »Karen … nettes Ding, gute nordische Erbmasse … Ich meine, prima Anlagen, verstehen Sie?«
Paul Vonwegh nickte. Er begann, den Mann zu hassen, dem er dankbar sein sollte. Am liebsten hätte er ihm in das Gesicht geschlagen. Ich bin ein Hysteriker,
Weitere Kostenlose Bücher