Brigade Dirlewanger
daß er sich endgültig um seinen Brummschädel gebracht hat, wenn seine Nachricht nicht stimmt. Er hat die Kameraden von Baracke VIII mit Schnaps und dem Gerücht, Dirlewanger sei gehängt worden, in einen Freudentaumel versetzt.
Neben dem Zugführer hockt Kortetzky. Die kleinen Knopfaugen des Gorillas werden zum Hundeblick. Er wirkt wie ein riesiger Bastard, der versucht, ein Schoßhündchen zu sein.
Müller und Kordt dösen. Rechts von Vonwegh kauert Kirchwein, an Petrat gelehnt. Sooft sein Blick dem Zugführer begegnet, duckt sich der Epileptiker unwillkürlich und bettelt stumm. Seine ungesunde Gesichtshaut hat wieder die grüne Patinaschicht der Angst. Kirchwein sieht aus, als ob er gleich wieder einen Anfall erleiden werde.
Vonwegh hatte ihn gefaßt. In der vergangenen Nacht. Er hatte mit sicherem Griff den Verräter, den Spitzel vor Dirlewangers Datscha abgefangen. Auf Sichtweite der Burggendarmen, plötzlich hinter einem Holzstoß hervorschnellend. Er preßte Kirchwein die Kehle zusammen, bis er sich nicht mehr rührte, schleppte ihn weiter, wie einen Sack, merkte, daß er bewusstlos war, und warf ihn sich über die Schulter. Er trug ihn vom Schloß weg und setzte ihn ab. Der Epileptiker rührte sich immer noch nicht. Vonwegh schlug mit der flachen Hand zu, ohne Wut und ohne Wucht, nur, um ihn aus dem Schock zu reißen.
Die Kälte brachte ihn rasch wieder zu sich. Er erwachte mit dem forschenden Gesicht eines Verunglückten, der versucht, sich zu erinnern. Er erkannte Vonwegh und wußte alles. »Sie …«, stöhnte er.
Der Zugführer zog ihn hoch.
»Ich hab' doch nicht …«, wollte Kirchwein beteuern.
»Morgen …«, erwiderte Vonwegh. »Jetzt halten Sie den Mund.« Er sah in das Gesicht, das sich vor Furcht fast zersetzte, las die Bitte und nickte. »Nein …«, setzte er hinzu, »ich sage den anderen nichts.«
Irgendwo ertönt ein Pfiff. Dann quietschen die Bremsen. Der Lkw rutscht wieder seitwärts. Ein Paar B-Soldaten stoßen mit dem Kopf zusammen und fluchen.
Die Fühlung zur Nachbareinheit ist abgerissen. Sie müssen warten, vertreten sich die Beine, klopfen sich die Arme warm. Zum ersten Mal scheint Paul Vonwegh Kirchwein zu sehen, nickt ihm zu. Die beiden gehen abseits. Keiner merkt es.
»Sie wollten heute nacht Gruhnke verpfeifen. Stimmt's?«
Der Epileptiker schweigt, sucht nach einer Ausflucht, überlegt. »Ich kann doch nichts dafür …«, antwortet er mit irren Augen. »Die haben mich gezwungen …«
»Zu wem wollten Sie?«
»Zu … zu Oscha Weise …«
»Der ist doch gar nicht da«, entgegnet der Zugführer.
»Dann zum Spieß. Sie haben mich beide … Wenn ich nicht mindestens jede Woche einmal … dann …«
Der Zugführer nickt. Das sieht ihnen ähnlich, denkt er, divide et impera … Latein können sie nicht, aber das Rezept ist ihnen geläufig.
»Bitte«, stöhnt der Kranke, »den anderen nichts … nichts sagen …«
»Gut«, erwidert Vonwegh knapp, »ich gebe Ihnen eine Chance …«
Kirchweins Gesicht zerfließt vor Erleichterung.
»Sie melden künftig alles mir … Kapiert?«
»Ja«, versetzt der Epileptiker zu beflissen. »Aber ich muß doch … Oscha Weise und Müller-Würzbach …«
»Ich werde bestimmen, was weitergeht«, erwidert der Zugführer abschließend. Er läßt Kirchwein einfach stehen. In seinen Mundecken steht ein hintergründiges Lächeln.
Sie stehen jetzt schon eine halbe Stunde. Die Sonderbrigade ist heute nicht so isoliert wie bei ihren anderen Einsätzen. Es läßt sich nicht vermeiden, daß die B-Soldaten mit Einheiten der regulären Wehrmacht zusammenkommen. Wie jetzt, mit einer Pionierkompanie, einer frisch abgelösten Fronttruppe, die aus Landsern mit Lametta besteht, die es satt haben, im Hinterland Beschäftigungstherapie zu treiben, bei denen das offene Maulen nicht tödlich ist, schon weil ihre Dienstgrade selbst mitfluchen.
»Was ist denn eigentlich los?« fragt Gruhnke einen Obergefreiten.
»Was weiß ich …«, knurrt der Mann, »ein Attentat in Minsk … oder wo …«
»Und?« fragt Paul Vonwegh weiter.
»Weiß nicht … Die Kerle haben einen ganzen Polizeistab in die Luft gesprengt …«
Polizeistab? Minsk? Instinktiv nimmt Paul Vonwegh an, daß es mit Oberst Prinz zusammenhängt …
Was seine Gegner betrifft, hat Paul Vonwegh längst keine Illusion mehr, ist er ein klarer Pessimist. Er hat plötzlich das fatale Gefühle, Dirlewanger doch zu unterschätzen. Sein wacher Verstand überlegt, wägt,
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