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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sich Frau Szlacheta freikämpft. Sie findet weder den Mann noch ihre Söhne, die von diesem Tag an verschollen sind; nur die beiden Töchter liegen unter den Leichen. Die gebrochene Mutter ist die einzige Überlebende ihrer Familie, die dem Blutbad am Sowinski-Park, das von einigen Zeugen in Photodokumenten festgehalten wurde, nicht zum Opfer fiel.
    Das Gemetzel ist so fürchterlich, daß es jede Schilderung verbietet. Weise und Kaminski haben mittlerweile die Ursus-Fabrik, ebenfalls an der Wolska-Straße, erreicht. Was sich abspielt, schildert Monate später unter Eid die überlebende Zofia Staworzynska in dürren Worten:
    »Ich wohnte seit 1941 in Warschau, in der Wawelberg-Straße Nr. 18. Am 5. August 1944 gegen dreizehn Uhr erschienen SS-Männer und Ukrainer auf dem Hof und forderten die Einwohner auf, das Haus sofort zu verlassen. Es herrschte ein furchtbares Drängen und kam zu einer Panik. Alle Menschen, auch die Kinder, mußten die Hände hochhalten. In Begleitung meiner elfjährigen Tochter Alina verließ ich das Haus zusammen mit den anderen Einwohnern in einer Gruppe von ungefähr hundertfünfzig Personen. Vor dem Tor wurden wir aufgestellt, nach Familien geordnet. Das Tor stand offen, und als ich näher herankam, sah ich auf dem Hof der Fabrik ganze Berge von Leichen. Daneben Gruppen von Zivilisten. Ich hörte Schüsse und Stöhnen. Ich erkannte in diesem Moment, daß uns das gleiche Schicksal bevorstand. Die Uniformierten trieben die Polen inzwischen gruppenweise ins Innere. Eine Stunde brachte ich so zu, dann waren wir an der Reihe. Ich ging mit meiner Tochter und zwei Kindern, die sich mir angeschlossen hatten. Auf dem Hof fielen wir über dicht am Boden liegende Leichen, in verschiedenen Stellungen. Hinter jedem Menschen, der in den Hof getrieben wurde, liefen SS-Männer und Ukrainer her, die aus Pistolen Genickschüsse abgaben. Ich bat einen von ihnen, der meiner Tochter die Haare streichelte, uns freizulassen. Der Mann wandte sich an seinen Kameraden, dieser jedoch willigte nicht ein, deutete auf uns und sagte: >Polnische Banditen.< Meine Tochter griff nach meiner Hand und wir gingen zur Mauer. Als wir dort anlangten, wurden mehrere Schüsse auf uns abgegeben. Der erste traf mich am Hals. Ich fiel um und wurde noch dreimal getroffen, einmal an der Hand und zweimal in der Herzgegend. Neben mir brach meine Tochter zusammen. Ich hörte kurz darauf noch einen Schuß, worauf meine Tochter sich nicht mehr rührte. Inzwischen wurden weitere Gruppen von Polen herbeigeführt; wie viele es waren, kann ich nicht mehr sagen. Ich hörte schreckliche Schreie, Flehen, Jammern und Schüsse. Wie lange das ging, kann ich auch nicht sagen, weil ich ganz benommen war. In den Pausen zwischen den Exekutionen gingen die SS-Männer über die Leichen, gaben den Verwundeten Fangschüsse – auf diese Weise töteten sie meine Tochter und die vor mir liegende Person – und raubten Schmucksachen. Als sie so mit den Stiefeln über mich kletterten, brachen sie mir die linke Hand, an der ich die Schusswunde hatte, und das rechte Schlüsselbein und zogen mir den Ring vom Finger. Am Abend wurde es dann still …«
    Soweit die Zeugin. Die Wahrheit ihrer Aussage ist durch Lichtbilder zu beweisen. Ihre nüchternen Worte, trocken wie Augen, die keine Tränen mehr hergeben, gingen um die ganze Welt. Die jederzeit belegbaren Verbrechen der Kampfgruppe Reinefarth, deren Kern aus den Sonderbrigaden Dirlewanger und Kaminski bestand, werden später überall, in Ost und West, Entsetzen und Beschämung hervorrufen und nur an dem Land vorbeiwehen, in dem es der SS-Gruppenführer Reinefarth zum Bürgermeister und Landtagsabgeordneten bringen wird, weil die Staatsanwaltschaft die Untersuchung gegen ihn einstellt, ohne einen einzigen Warschauer Zeugen gehört zu haben …
    Paul Vonwegh kommt ganz langsam, fast zögernd wieder zu sich, wie ein Trinker aus dem Alkoholrausch, wie ein Verunglückter nach der Morphiuminjektion. Seine Augen brauchen lange, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Der Schmerz in seinem Hinterkopf morst Pausenzeichen in sein Bewußtsein. Er weiß nicht, wie lange er lag, und er kann nicht sagen, was geschehen ist: ein Blitz vor den Augen, ein Schlag. Aus.
    Er dämmert wieder hinüber. Ein paar Minuten vielleicht oder Stunden. Schüsse wecken ihn. Sie fallen ganz in der Nähe. Im Schädel Vonweghs schmerzen sie wie Kolbenstöße. Er versucht sich aufzurichten und sinkt wieder zurück. Aber er ist zäh. Seine

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