Brigade Dirlewanger
sich zu Weise und Vonwegh um, »übernehmt die Flankensicherung! … Und jetzt ab durch die Mitte!«
Ganz in der Nähe knallt ein Schuß. Partisanenüberfall, denken die Umstehenden gleichzeitig und hauen sich in Deckung. Vonwegh hastet auf das Haus zu. Im Gang liegt ein Mann. Über sein Gesicht läuft Blut. Der Kompaniechef beugt sich über ihn, richtet sich wieder auf. Nichts mehr zu machen, stellt er mechanisch fest, betrachtet das Gesicht des Sterbenden, das seltsam weich und friedlich wirkt, trotz der häßlichen Wunde an der Stirn.
Braun, der Politische, hat Schluß gemacht mit allem …
Die HKL von Warschau besteht aus Straßensperren, Kellern, Ruinen, Gräben und Löchern. Sie verläuft unorthodox. Es gibt keine richtigen Flanken, keinen wirksamen Feuerschutz. Vorne ist da, wo es knallt. Und es schießt von allen Seiten, aus allen Löchern, durch alle Fensterhöhlen.
Die Sonderbrigade, von Dirlewanger selbst geführt und durch Schnaps animiert, hatte keinen weiten Weg zur ersten Feindberührung. Nach eineinhalb Straßen begegneten die B-Soldaten einer deutschen Infanteriegruppe, die von den Rebellen zielstrebig zurückgeschlagen wurde.
»So«, sagt Dirlewanger, »und jetzt sind wir dran.«
Weise hat sich in den Häusern auf der rechten Seite verbissen. Vonwegh durchkämmt das Gegenüber. Dirlewanger wartet ihre Meldungen nicht erst ab, sondern deutet nach vorne. So stürmen sie vorwärts, bewaffnet jetzt, in Rudeln, mit rotgeränderten Augen, Alkohol im Hirn, Gier in den Händen, Angst im Rücken. Dreißig, vierzig Meter lassen sie die Polen näher kommen. Dann haut sie der erste konzentrische Feuerstoß auf das Pflaster. Wer ihn überlebte, sucht Deckung.
Dirlewanger sieht es und brüllt: »Seid ihr wahnsinnig! … Los, ihr Schweine!« Er läßt sich ein MP geben und bringt sie in Hüftanschlag. Die B-Soldaten erheben sich wie Puppen. Sie springen. Sie wetzen in den Tod. Dann die anderen. Die nächste Welle. Noch ein Aufgebot. Über die Toten fallen die Sterbenden. Der Chef duldet keinen Zeitverlust. Er jagt seine Soldaten nach vorne wie Schlachtvieh über ein Minenfeld. Er schafft ein paar Meter, die sich mit Blut voll saugen wie Schwämme.
Die Polen geben keinen Schuß zu viel und keinen zu wenig ab. Sie erkennen den wahnwitzigen Durchbruchsversuch und holen Verstärkung herbei. Sie wissen, daß das nicht einmal Soldateska ist, was gegen sie anrennt.
Die Brigade wartet auf Verstärkung. Weise hat am rechten Flügel eine Ruine umgangen. Zu Vonwegh ist die Fühlung abgerissen. Dirlewanger teilt die nächste Welle ein, hinter ihr die übernächste.
Ein versprengter Pionieroffizier sieht es. »Das ist Irrsinn!« sagt er zu dem SS-Oberführer. »Wir haben Panzer angefordert … Warten Sie doch noch eine halbe Stunde.«
»Haun Sie ab, Sie Weichmann!« faucht ihn Dirlewanger an. Er steht im Hausflur und hebt langsam den rechten Arm. »Auf los geht's los!« brüllt er. Dann fährt er zu seinem Adjutanten herum. »Geben Sie mir noch 'nen Schluck!« Er nimmt die Feldflasche, trinkt in großen Zügen, spuckt den Rest aus. »Jetzt zeigen wir denen unsere Handschuhnummer!« sagt er, nimmt die MP und zielt auf seine Leute, die nicht schnell genug aufspringen. Er zählt und flucht. Es sind zu wenig. Er muß warten, bis weitere Verstärkung kommt. Auch er kocht nur mit Wasser, wenn auch mit blutigem.
Dirlewanger sieht das verächtliche Lächeln im Gesicht des noch immer wie unschlüssig herumstehenden Pionieroffiziers und nickt ihm zu. »Passen Sie auf, Hauptmann«, sagt er, »jetzt zeig' ich Ihnen etwas, was man auf keiner Kriegsschule lernt … Jetzt führ' ich Ihnen vor, wie meine Löwen kämpfen …« Giftig setzt er hinzu: »Wenn die übrige Wehrmacht auch soviel Mumm in den Knochen hätte, dann ging's nicht an allen Fronten zurück.« Er wirft seine Zigarettenkippe weg. »Und jetzt wetten wir fünf Flaschen Schnaps«, sagt er versöhnlich zu dem Wehrmachtsoffizier, »daß ich in zehn Minuten diese Pak-Stellung in Grund und Boden gehaun habe.«
Mit einem Satz springt er unter seine Leute, jagt sie hoch. Schon bei den ersten zehn Metern verliert er die Wette. Die polnische Pak knallt Abpraller unter die Heranstürmenden. Zorn und Schnaps machen Dirlewanger wahnwitzig. Mit Stiefel und Kolben feuert er seine B-Soldaten an, schießt zwei, drei über den Haufen, haut sich unter Beschuss selbst auf das Pflaster, das keine Deckung hergibt, flucht und ist noch immer unverletzt. Es wirkt fast unheimlich:
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