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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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wie eine Wand, von der alles abprallte, stark von innen heraus und dabei doch weiblich, fraulich und auch noch schön.
    Die Nummer 3.013 war den Weg zur Schreibstube unzählige Male gegangen. Am Anfang als Neuling noch zwischen Angst und Hoffnung – Hoffnung auf Hilfe, Angst vor den Schlägen. Die Nummer 3.013 hatte wie alle anderen gehofft und gehungert, geweint und gehasst. Sie hatte sich im Widerstand aufgebäumt und war zusammengebrochen; sie hatte alle Stadien von der Resignation bis zur Rebellion durchlaufen. Und sie war niemals in der Lethargie versunken. Ihre Leidensgenossen schufen sich eine einzige Abwehrwaffe: fühllosen Stumpfsinn, das widerwärtige Gelee, mit dem der KZ-Insasse täglich sein verblasstes Bewußtsein fetten mußte, um noch einmal über die Runden zu kommen.
    Bei der Nummer 3.013 war es anders. Sie hatte es nicht nötig. Sie lebte in einem Wahn, aber er gab ihr Kraft. Sie hatte eine Idee, und sie war stärker als alles andere. Die Nummer 3.013 war wegen eines Mannes in das Frauenlager gekommen: wegen Paul Vonwegh.
    Karen hatte man die Haare geschoren, eine Nummer zugeteilt und sie in die graue Masse gesteckt. Sie überwand den Schock, und sie verstand auf einmal etwas, das sie nie richtig begriffen hatte, auf das sie zeitweilig eifersüchtig war, auf etwas, das Wesen und Charakter Paul Vonweghs geformt hatte. Sie hatte sich als Frau zunächst schwer damit abfinden können, daß es neben ihr noch etwas gab, das zählte. Jetzt nahm Karen an seinem Kampf teil, und nicht nur zwangsläufig, denn sie hatte begriffen, worum es ihm gegangen war: daß zum Beispiel Frauen keine vierstelligen Ziffern zu tragen brauchten, daß sie wieder einen Namen, ein Gesicht, einen Wunsch oder einen Traum hatten.
    Jetzt, da Karen dem Mann, den sie liebte, endlos fern stand, ja nicht einmal wußte, ob er noch lebte, war sie ihm nah wie nie zuvor und spürte die Ausstrahlung, die von ihm ausging, auf sie übergriff und sie ihm ähnlich machte, immun gegen Dreck, Angst und Fluriger. Nicht nur ihre Wärterinnen machten einen Umweg um die Nummer 3.013, selbst die Läuse schonten sie.
    Karen riß andere mit, aber sie blieb immer allein. Sie wollte es. Sie wollte immer an Pauls Seite stehen.
    Die Nummer 3.013 hatte die Schreibstube erreicht und nahm Haltung an vor dem ekligen Frauenzimmer, das für den Papierkrieg verantwortlich zeichnete. Ein Zucken des Auges, ein heftiges Atmen, ein Wort zu viel oder ein Lächeln zu spät: Das konnte Folter bedeuten, Deportation in ein Bordell oder Überstellung an die Vivisektion. Dieses unweibliche Wesen, dem man im Privatleben nicht einmal ein Klosett anvertrauen mochte, hatte die Gewalt über die letzte Ungeheuerlichkeit, die man einer Frau seelisch oder körperlich antun konnte, und genoß ihre Macht, Körper verstümmeln zu lassen oder kriminellen KZ-Kapos als Belohnung vorzuwerfen.
    Beides war an Karen bisher vorübergegangen. War es jetzt soweit? Sie wußte es nicht. Wenn sie unruhig war, tarnte sie es gut. Ihre Miene blieb so ausdruckslos wie das Gesicht Vonweghs, wenn er Dirlewanger gegenüberstand.
    »Hier«, sagte die Wärterin, »unterschreiben Sie!« Sie schob der Nummer 3.013 ein bereits ausgefülltes Formular über den Tisch. »Schweigegelöbnis« stand im primitiv-schwulstigen Stil des Systems über einer Erklärung. Die Nummer 3.013 hatte sich zu verpflichten, alle Vorgänge des Lagers geheim zu halten. Karen dachte langsam, klar, geordnet und erfasste rasch: Es bedeutet die Entlassung, die Freiheit.
    Fast war es ein Wunder. Aber Karen glaubte nicht daran. Sie wußte, daß eine unsichtbare Hand hinter den Kulissen eingegriffen hatte, und sie hoffte, daß es vielleicht mit Paul zusammenhing.
    Die Nummer 3.013 zeigte noch immer keine Regung. Die Aufseherin betrachtete sie mit schmutziggrünen Augen, eingehend und aufdringlich. Sie sagte nichts, aber in ihrem Gesicht lebte ein ganzer Schwarm von Worten, als jetzt ein Geschöpf ihrer Gewalt entglitt. Vielleicht wollte diese zu kurz gekommene Frau einen Teil ihrer Gemeinheit gutmachen, oder sie bereute, Karen nicht doch zu dem SS-Arzt geschickt zu haben, von dem man höchstens als Krüppel wiederkam.
    »Da«, sagte die Aufseherin und deutete auf den Nebenraum.
    Es waren zwei Männer da und eine Frau. Sie sprachen geschäftsmäßig mit ihr, bürokratisch. Karen erhielt eine Fahrkarte, etwas Geld, Zivilkleider und den Befehl, sich in Berlin in regelmäßigen Abständen bei der Polizei zu melden. Man fragte, ob sie

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