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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Vonwegh … Hätten Sie mir herausgeholfen hier, dann hätte ich Sie mit meinen Beziehungen spielend freigekriegt … Eine Hand wäscht die andere … Aber Sie wollten ja Ihre kleine Privatrache …« Er lächelt schief, kommt wieder heran, riecht nicht einmal nach Schnaps, stellt Vonwegh verwundert fest.
    »Es wäre die eine Möglichkeit gewesen«, fährt Brillmann fort. Seine Stimme klingt seltsam fettig, als hätte sie sich am Genuss überfressen. »Aber nun kommt das andere … Sie haben nie begriffen, daß ich kein Nationalsozialist bin, aber auch kein Narr wie Sie … Ich weiß, daß dieser Krieg verloren wird und daß man seine Funktionäre vielleicht in ein paar Monaten schon zur Verantwortung ziehen wird …« Er beugt sich ganz dicht über Paul Vonwegh. Er zündet sich eine neue Zigarette an. »Da ist es doch ganz gut, bei der Sonderbrigade gewesen zu sein … Ich bin jetzt von den Nazis genauso verfolgt wie Sie, Herr Vonwegh … Wir stehen in einer Reihe!« Seine Stimme überschlägt sich vor Zynismus. »Hand in Hand … falls Sie's überleben …«
    Brillmann betrachtet den Kompaniechef unsicher, weil ihm der Wehrlose immer noch nicht antwortet. »Noch immer zu stolz, um mit mir zu sprechen? … Bitteschön, Herr Kompanieführer, beenden wir das kleine Gespräch …« Seine Worte kommen zischend: »Jetzt mache ich Sie fertig, das wissen Sie …« Er richtet sich auf, nimmt die MP von der Schulter. »Aber auf meine Art!« setzt er hinzu und zielt aus einem halben Meter Entfernung zwischen die Augen des Verwundeten.
    Jetzt, da sein Leben auf die Distanz zu der Maschinenpistole in den Händen seines Todfeindes zusammengeschrumpft ist, spürt Vonwegh ergebene Erleichterung, als hätte er es schon hinter sich. Eine fast wohlige Müdigkeit überkommt ihn, lockert sein Gesicht, macht es ausgeglichen, fast heiter. Die Maske der Überlegenheit darf fallen. In dem Moment, da Paul Vonwegh endgültig unterliegt, siegt er auch. Mit großen, offenen Augen betrachtet er Brillmann.
    Dann flüchtet mit einem Schlag die erlösende Ruhe. Karen … schmerzt es in seinem brennenden Hinterkopf, hämmert es in seinen Schläfen, walzt es durch sein Bewußtsein. Karen. Und die ewig ungelöste Frage, was aus ihr geworden ist, fegt die Ergebung weg, zwingt Vonwegh, wieder zu kämpfen, obwohl doch alles schon entschieden ist …
    Wie immer kam die Meldung aus unkontrollierten Kanälen, vielleicht bloß aus den Niederungen des Selbsterhaltungstriebs; wie immer hatte das Gerücht einen anonymen Urheber und eine Massenauflage: In Warschau soll ein Aufstand ausgebrochen sein und die deutschen Truppen aus der polnischen Hauptstadt geworfen haben. Das hieße für die weiblichen Häftlinge des Frauenlagers Ravensbrück, daß das Kriegsende wieder ein Stück näher gerückt wäre.
    Sie standen seit Stunden am Appellplatz und hatten gewartet: auf nichts oder auf Schläge, auf eine Besichtigung oder eine neue Gemeinheit. Ihr Leben hatte keinen Sinn, aber die Schikane System. Sie führten keine Namen, sondern Ziffern. Sie waren keine Einzelwesen mehr, sie zählten nur noch im Hundert. Deshalb wurden sie en bloc gequält und en masse getötet.
    Es regnete fein, fast unsichtbar. Es war noch Sommer, aber die geschlechtslosen Wesen auf dem Appellplatz hatten immer Herbst, Spätherbst. Und deshalb waren ihre Gesichter grau wie alles in dieser unwürdigen Hölle, grau wie die Klamotten, grau wie das Essen, grau wie die Wände, grau wie der Boden. Selbst das spärliche Grün neben der Küchenbaracke wirkte schon verwelkt, bevor es sich noch richtig entfaltet hatte.
    Eine Zahl wurde aufgerufen: 3.013. Vierstellige Ziffer. Etwa zwei Jahre hier, überlegten die weiblichen Häftlinge, soweit sie noch denken konnten.
    Aus dem ersten Glied schälte sich eine rührend schmale Gestalt; sie rührte keinen. Einmal waren sie alle erschreckend schmal, und zum anderen waren die Gefühle hier geronnen, die eigenen wie die fremden, die guten wie die schlechten, die Angst wie die Hoffnung. Der Stumpfsinn hatte die Neugier gefressen, der Alltag die Zukunft, das Ende den Anfang. So sah jetzt der Nummer 3.013 niemand nach, in der sicheren Gewissheit, daß man im Frauen-KZ wegtreten, aber nicht ausscheren konnte.
    Die Nummer 3.013 war noch jung. Man sah es ihr sogar an. Sie lebte unter den gleichen Bedingungen wie die anderen, von denen viele auch nicht älter waren; und trotzdem schien alles an ihr vorbeizugehen, wirkte sie wie eine Ausnahme. Sie war

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